Ein Jahr voller Gegensätze liegt hinter mir. Vollgas. Vollbremsung. Lachen. Weinen. Tanzen. Springen. Schubsen.“ – so endete 2019. Und diesmal war wieder alles anders. Ungewohnt und schmerzhaft. Denn 2020 zeigte uns auf brutale Weise, wie zerbrechlich alles ist. Wie zerbrechlich unsere „Normalität“ ist. Ein unfassbar anstrengendes Jahr. Dominiert von einer Pandemie, die uns alle ans Limit brachte. Unsicherheiten und Ängste in allen Schichten. Habe Mitgefühl mit Hinterbliebenen, die oft ohne Abschied Abschied nehmen mussten. Tiefen Respekt vor Ärztinnen und Ärzten, den Pflegekräften und Angestellten in Altersheimen, Hilfsorganisationen, Krankenhäusern. Und nein, auf dem Balkon stehen und klatschen reicht nicht aus. Habe Mitleid mit Menschen, die unter den Einschränkungen leiden: Einsame Menschen, kranke Menschen, zurückgelassene Menschen, mittellose Menschen. Habe kein Mitleid mit Großaktionären, deren Dividenden jetzt der Staat zahlt – dafür aber Klimapolitik und Infrastruktur vernachlässigt. Habe Verständnis für Ängste und Sorgen. Habe kein Verständnis für Verschwörungstheorien, Ignoranz, Hetze und Hass. Egal, ob gegen den Staat oder einzelne Menschen. Werde mir täglich mehr bewusst, dass Rassismus ein strukturelles Problem ist. Wie mächtig und verletzend Sprache sein kann. Wie eingeschränkt der eigene Blick ist. Meist erblickt er nicht einmal das Gegenüber.

Ich habe großes Glück enorme Privilegien. Niemand aus dem Freundeskreis oder der Familie verloren. Zögerliche Umarmungen. Irgendwann nur noch ein Winken aus der Ferne. Ausgedehnte Spaziergänge und Telefonate. Nein, ein Zoom-Meeting ersetzt keine Berührung. Dennoch froh, dass es Alternativen gab. Froh über einen Job, der von überall machbar ist. Über Hobbys, die an keinen festen Ort gebunden sind. Konnte meine Gefühle offen teilen und in geschützten Räumen hinterfragen. Merke für mich, wie entscheidend Orte sind. Orte, an denen man unverstellt sein kann. Habe versucht, weniger Zeit in den Streams zu verbringen. Sie dafür mit mir selbst zu verbringen. Mit dem Fahrrad lautlos durch Hamburg. Durchatmen. Geschehen lassen.

Durchatmen. Draußen.

Es war ein Jahr der kleinen Schritte. Sprichwörtlich. War nur einmal kurz in Österreich. Ansonsten viel in den eigenen vier Wänden. Hab Hamburg erkundet. Und ein bisschen Bergluft geschnuppert. Chiemgauer Alpen. Harz. War kein einziges Mal in der Heimat. Nur einmal am Meer. Vier Bilder auf Instagram. Aber ist das schlimm? Vermisse ich etwas? Braucht es große Reisen? Hab noch keine Antwort gefunden. Nicht schlimm Es wird noch eine Weile dauern, bis ich das nächste Flugzeug betrete. Umso mehr freue ich mich auf Freunde in Berlin, Potsdam, Kiel, Stuttgart oder Wustenriet.

Wandern in den Chiemgauer Alpen

Was früher Last.fm machte, geschieht nun automatisch am Jahresende durch Spotify. Ein Rückblick auf das musikalische Jahr – wieder ohne große Überraschungen. Hip Hop und Pop haben mich begleitet. Dafür deutlich seltener, weil die Bahnfahrten weggefallen sind. Insgesamt 278 Stunden streamte ich Künstler wie Fatoni, Dexter oder Bosse. Aber auch Fynn Kliemann – mit dem ich mich mittlerweile deutlich seltener vergleiche. Mich überraschten Run The Jewels und Yassin mit seinem Unplugged-Album.

Vielleicht liegt es an diesem Jahr, dass nur wenige Serien und Filme hängen geblieben sind – obwohl man gefühlt viel Zeit mit Netflix und Co. verbrachte. Alles zog vorbei. Eine gewisse Müdigkeit setzte ein. Überzeugen konnten mich die Kurzserien Liebe und Anarchie und Das Damengambit. Aber auch die zweite Staffel von After LifeTed Lasso und The Morning Show taten auch gut. The Last Dance erinnerte mich an meine Jugend – 21 spielen und das Michael Jordan Poster an der Wand.

Was ich momentan am meisten vermisse sind Abende mit Freunden, Restaurants, Cafés und Kinos. Einmal hab ich es ins Savoy geschafft. Parasite – ein doch sehr verrückter, aber auch guter Film gesehen. Daneben nur Streams. Hamilton war toll. Und Soul zum Ende des Jahres berührend.

Ansonsten war es das Jahr der Podcasts. Erneut. Ich verbrachte Stunden im Hotel Matze, hab Deutschland3000 und die Lage der Nation verfolgt. Apokalypse & Filterkaffee und Baywatch Berlin brachten mich zum Lachen.

Rückzug

Für 2020 hatte ich mir vorgenommen ehrlicher zu sein. Zu mir und auch zu anderen. Ohne diese Ehrlichkeit hätte ich das Jahr auch nicht so gut überstanden. War verunsichert wie viele andere auch. Musste Gewohntes aufgeben, damit andere geschützt werden. Sich selbst zurücknehmen – und gleichzeitig beobachten müssen, wie sich ganz viele in den Mittelpunkt der Erde rückten. Schaue optimistisch auf das kommende Jahr. Der Impfstoff kommt. Trump geht. Spannend wird die Frage, ob die Polarisierung weitergeht. Immer extreme Meinungen. Immer weniger Verständnis.

Darüber reden ist ein Anfang. Miteinander reden sollte das Ziel sein. Versuche mich darin. Und lasse 2021 auf mich zukommen. ✌️