Andreas Spiegler

Schreiben. Stolpern. Schluckauf.

Rückblick. 2024.

Am Anfang des Jahres war da verdammt viel Ungewissheit. Ein Neuanfang, der nicht auf meiner Bucketlist stand. In mir alles kopfüber, draußen alles erschreckend gleich. Die Welt drehte sich weiter und ich musste funktionieren. Einen neuen Rhythmus finden. Routinen etablieren. Muster verstehen. Und akzeptieren, dass manches einfach ganz viel Zeit brauchen wird – und gute Freunde, Schokolade und Umarmungen.

Das ganze Jahr ein Wechselspiel. Sonne und Nebel. Laut und leise. Einmal mit übervollem Herzen und Plänen, dann wieder nachdenklich und gelähmt. Ich schaff das schon. Ich will das nicht. Immer noch nervös, wenn sich Vergangenes in den Vordergrund drängelt. Aber mit jedem Monat etwas zufriedener. Mit jeder Jahreszeit ein Stück mehr bei mir. Immer wieder ein Grinsen im Gesicht. Immer wieder eine Träne am Kinn. Beides okay. Irgendwie ganz okay.

Fühlte mich immer wieder als Teil einer nicht endenden Satire-Show. Ein verurteilter Straftäter kehrt ins Weiße Haus zurück und will sein Land abschotten. Ein Tech-Milliardär nutzt seine Plattform für Verschwörungstheorien und rechte Propaganda. Verliere komplett die Lust an sozialen Medien, wo Ideologie über Mitgefühl herrscht. Die Welt kämpft. Gegen sich selbst, gegen alte Konflikte, gegen neue Krisen. Extremisten und alles Schwarz-Weiß. Nachhaltiger Klimaschutz ein Lippenbekenntnis. Zu kurz der Zeithorizont. Zu groß der Wunsch nach Wohlstand und der Vergangenheit. Möchte in keinem Land leben, wo eine rechtspopulistische Partei unentwegt Ängste schürt und Demokratie durch autoritäre Fantasien ersetzen will. Hab kein Bock auf Nazis. Möchte Gleichberechtigung und das Ende des Patriarchats. Es braucht keine starken Männer, die vor Sorge um ihre schwindende Macht wie trotzige Kinder alles kaputt machen. Sehne mich nach Begegnung und Augenhöhe. Sehne mich nach einem Moment zum Durchatmen. Und nach Optimismus.

Und damit es nicht langweilig wird: Wirtschaftskrise. Auch ich musste in meinem zweiten Jahr als Selbstständiger merken, wie Unternehmen vorsichtiger wurden. Abgesagte Projekte und reduzierte Beauftragungen. Es war holprig. Weniger Umsatz, dafür mehr Freizeit. Kein schlechter Deal. Durfte dennoch mit tollen Menschen an schönen Projekten arbeiten. Ein großer Relaunch und eine Neugründung. Geschäftsmodell-Beratungen und Produkt-Coachings. Konzentrierte mich auf das zweite Jahr meiner Ausbildung zum systemisch-psychologischen Therapeuten und investierte viel Zeit in AI-Tools. Baute Anwendungen und Automatisierungen, generierte Stimmen und Kunst. War seit Jahren mal wieder auf der re:publica und erneut auf der Product at Heart. Mag weiterhin die Selbstbestimmung und Freiheiten. Sehne mich aber immer wieder nach einem festen Team. Spiele mit dem Gedanken, für eine Zeit aus dem Ausland zu arbeiten. Und irgendwann etwas ganz anderes zu tun.

Verbrachte viel Zeit mit Freundinnen, Freunden und ihren kleinen Familien. Auch wenn es nicht immer einfach ist, strahlende Babyaugen und liebevolle Pärchen zu beobachten. Bin manchmal das dritte Rad und dann wieder fest integriert. Bin dankbar für diese Beziehungen. Für Freundschaften, die nach ruhigen Jahren wieder intensiver sind und mich tragen. Haben gemeinsam Nächte durchgetanzt, sind in Kneipen versackt, haben Bingo gespielt, Apfelkuchen gegessen, am Meer geweint, auf Konzerten gewippt und in Museen gestaunt. War in den Wäldern von Teneriffa und auf den Heidewegen von Lüneburg. Bin vom Zehn-Meter-Turm gefallen und auf Bunker gestiegen. Mit dem Rad in den Speckgürtel und mit dem Zug nach Süddeutschland. War meiner Familie ganz nah. War meiner Familie ganz fern. Hab sehr viel Zeit mit mir verbracht. Das war schön. Das war schwierig. Das war anders.

Es gibt kaum etwas, das mich so sehr hält, wie Musik. Dieses Jahr war es die Musik von Doechii, Noga Erez und Apsilon, die mich überraschte. Aber auch Levin Liam und Paula Hartmann haben den Weg in meine Playlist gefunden. Ich durfte beim Geburtstags-Konzert von Fatoni dabei sein, OK KID nach Jahren wieder live sehen und mit Deichkind die Trabrennbahn platt springen. K.I.Z schafften es die politische Lage einzufangen und das Produzenten-Team Gerda überzeugte mit Features wie  OG KeemoYassinShe-Raw und Kryptic Joe. Seit wenigen Tagen läuft hier außerdem das Casper-Konzert in Dauerschleife. Insgesamt 453 Stunden mit Grinsen im Gesicht.

Was Podcasts angeht, tritt bei mir eine Form der Erschöpfung ein. Hab wenig Neues ausprobiert, dafür viele bekannte Formate gehört. Mag die Gespräche im Hotel Matze und unendlichen Podcast Alles gesagt. Die Geschichten von Search Engine und World Wide Web fesseln, während Fest & Flauschig, das Podcast Ufo und Baywatch Berlin mich regelmäßig zum Lachen bringen. Die Lage der Nation ordnet mir Politik und Nachrichten ein, während die Doppelgänger mir Wirtschaft und Börse näher bringen.

Dafür war das letzte Jahr ein tolles Filmjahr. Denn ich habe ein Kinoabo abgeschlossen und verbringe seitdem viel Zeit im Abaton und Zeise. All of Us Strangers hat mich tief berührt, Perfect Days hat mir die Schönheit des Alltags gezeigt und The Apprentice war erschreckend nah an der Realität. Begeistert haben mich der Humor und die Ehrlichkeit von Shrinking und die Hilflosigkeit von 30 Tage Lust. Verstört haben mich Rentierbaby und Poor Things – auf eine gute Art und Weise.

Zu Beginn des Jahres habe ich mir vorgenommen, jeden Monat ein Buch zu lesen. Insgesamt sind es 27 Bücher geworden, was mich total freut. Lese in der Bahn, nach dem Sport oder vor dem Schlafen. Liebe ist gewaltig hat mich tief berührt. Die Wut, die bleibt machte mich wütend und traurig. Untenrum frei beschreibt, wie unfrei Geschlechterrollen und Sexualität ist. In Freunde lieben dreht sich viel um die Frage, wie intensiv Freundschaften sein dürfen. Und Der alte König in seinem Exil beschreibt die entstehende Distanz einer Alzheimerkrankheit. Der Trost der Schönheit führte mir die Schönheit kleiner Momente vor Augen und Unzertrennlich lies mich spüren, wie sich eine sterbende Liebe anfühlt.

Da ist immer noch verdammt viel Ungewissheit. Aber ich kann sie immer besser aushalten. Mag die kleinen Überraschungen. Die lauten Momente mit anderen Menschen. Freue mich auf schöne Begegnungen. Und irgendwie auch auf emotionales Stolpern. Auf erste Sätze und ernste Absichten. Bin neugierig. Will mutig sein. Will mich trauen.

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Fragmente 🦸 Heldengeschichte

Die klassische Heldengeschichte folgt einem festen vertrauten Ablauf – egal ob Film, Videospiel oder Marketing-Kampagne. Ein unscheinbarer, oft unerfahrener Mensch wächst durch das Absolvieren von Prüfungen über sich hinaus. Zu Beginn noch schwach und hoffnungslos, wird am Ende das Böse besiegt. Ein Triumph und Wandel des Selbst. Die äußere und innere Welt im Einklang. Staunen, Applaus, Anerkennung.

Was, wenn es diese Strukturen gar nicht gibt? Wenn weder Anfang noch Ende klar sind? Vielmehr sind da unvorhersehbare Wendungen, die alles neu ordnen. Die Einfluss auf einzelne Rollen haben. Gut und Böse in einer Person. Zwiespalt und Chance im ständigen Wechsel. Was wäre, wenn wir uns Geschichten erzählen, in denen keiner gewinnt? Geschichten, die vom Stolpern erzählen. Von zahlreichen Versuchen, die misslingen. Erzählungen über Einsamkeit, die bleibt. Über Schwäche, die bleibt. Und es wäre okay. Es wäre sogar irgendwie schön.

Offenheit für Unklarheit. Eine Begegnung im Suchen, im Fragen, im Zögern. Mag den Gedanken, dass wir uns in die Augen schauen würden und dann wäre da ganz viel Akzeptanz. Mit den Momenten und Gedanken, die weder heldenhaft noch beneidenswert sind. Aber sie sind da. Und wir blieben da. Neugierig und zugewandt.

Welche Fragmente sind sonst so übrig geblieben?

  • ChatGPT und Perplexity sind ständige Begleiter. Ich lasse Konzepte auf den Kopf stellen, grabe mich im Dialog in neue Themen und simuliere Gespräche. Aber wie trainiere ich ein ein Modell? Wie schaffe ich es, dass die Maschine versteht, wie ich aussehe? Das Flux LoRa erlaubt das Training auf Basis eigener Bilder. Erschreckend und beeindruckend, wie leicht das in 19:41 Minuten möglich ist.
  • 30 Tage Lust. 30 Tage, in denen Freddy und Zeno neue Erfahrungen sammeln. Eine Serie über Fremde und den eigenen Körper entdecken. Sich selbst verlieren. Im Club, in der Apotheke, in der Nacht. Was ist, wenn dadurch alles ins Schwanken kommt? Und sich dieses Schwanken für beide Seiten unterschiedlich anfühlt. Mochte das Schwingen zwischen den beiden Liebenden – nicht nur, weil sie dabei durch Stuttgart stolpern.
  • Vor knapp zwei Jahren durfte ich im Rahmen der Creative Business Academy das Thema Kinoabo bearbeiten. Nun trage ich seit wenigen Wochen einen Cineville-Ausweis mit mir. Dieser erlaubt den freien Zugang zu Kinos wie dem Abaton, 3001 und Zeise. War seitdem spontan und geplant in den unterschiedlichsten Filmen. Traue mich an Genres, die davor aussortiert wurden. Bin viel neugieriger, wenn ich im Sitz versinke. Popcorn in der Hand. Das Handy im Flugmodus. 2 Stunden abtauchen.
  • Große Kinderaugen und kleine Schritte. Ein zartes Winken. Ein breites Grinsen. Das letzte Eis im Mundwinkel. Den Blick in den goldgelben Bäumen. Mag den Herbst und seine Farben. Mag Spaziergänge mit dampfenden Kaffeebecher. Der Kragen nach oben geklappt. Die Hände in den Hosentaschen.
  • In meinem nahen Umfeld, aber auch in jedem Cafe, begegne ich jungen Familien. Kinderkriegen scheint eine Entweder-Oder-Entscheidung zu sein. In Eva von Verena Kessler geht es um den Verzicht: Sollte für das Klima auf Kinder verzichtet werden? Was macht es mit einem Menschen, wenn alle Versuche schwanger zu werden scheitern? Berührende Einblicke in innere Kämpfe und äußere Verstrickungen.
  • Kies unter den Fahrradreifen. Meine Lieblingsstrecke führt mich durch das Waldgebiet Klövensteen. Bunte Wiesen und Sonne, die durch Äste bricht. Pferde bahnen sich ihren Weg vorbei an verliebten Rentnern, die ihre Runde drehen. Ich sitze in einer Waldschänke. Käsekuchen und Kakao. Ein kurzer Blick auf die Kasse, während ich mein Kleingeld zusammensuche. Da gibt es den Button „Trauerfeier“. Er ist rosa.
  • Bekomme Princess Charming empfohlen. Eine Frau sucht ihre große Liebe. Im Fernsehen. In einem Land, das sehr schön ist. Klingt bekannt. Und schon in den ersten Minuten wird klar, wie anders Frauen Frauen daten. Da ist so viel Neugierde und Augenhöhe. Da sind interessierte Fragen und liebevolle Gesten. Keine breite Brust und kein flotter Spruch. Da ist Verletzlichkeit. Das mag ich sehr.
  • Meine sportlichen Erfahrungen sind überschaubar. Ein bisschen Leichtathletik und Basketball. Beim Tischtennis als Kind zu große Angst vor den älteren Jungs gehabt. Dafür in den letzten Jahren immer wieder auf Plätzen gestanden und Dinge über Netze geschlagen. Badminton mit den Kollegen. Squash mit Freundinnen. Hab mich beim Tennis verausgabt und den roten Sand in der ganzen Wohnung verteilt. Seit kurzem taste ich mich an Paddle heran. Mag die Feldgröße, die Geschwindigkeit und die Lernkurve. Schauen wir mal, was wird.
  • Journalismus muss sich verändern. Wie die Welt, über die er schreibt. Das Publix in Berlin unterstützt diese Veränderung. Ein Raum für Austausch und Ausblick. Durfte Einblicke in meine Arbeit teilen und viele kleine Medienunternehmen kennenlernen. Bin dankbar für diese Freiheit in meiner Selbstständigkeit. Und für Begegnungen, bei denen ohne Phrasen über Unternehmen und deren Experimente gesprochen wird.
  • Bin kein großer Gamer. War ich nie. Aber kann in Spielen versinken, die wie Filme sind. Hab Heavy Rain und Beyond: Two Souls mehrmals durchgespielt. Und nun endlich auch Detroit: Become Human durchlebt. Aus der Sicht verschiedener Roboter lernt man mehr über künstliche Intelligenz. Ihren Wunsch nach Freiheit und Augenhöhe. So weit weg und doch irgendwie möglich. Der Spieleentwickler Quantic Dream schafft es immer wieder, mich mit Story, Soundtrack und Charaktere in den Bann zu ziehen.
  • Demenz ist eine grausame Krankheit. Nach und nach verschwimmt alles. Für den Betroffenen und sein Umfeld. Ein Kontrollverlust, der oft nicht akzeptiert werden will. In The Father begleiten wir Anthony Hopkins und spüren hautnah, wie Fragmente zerspringen. Ein aufwühlender Film, weil ich als Zuschauer selbst (gewollt) immer wieder den Faden verlor.

Wenn es keine Heldinnen mehr gibt, von wem handeln dann unsere Geschichten?

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Fragmente 🤗 Begegnungen

Meine Jugend verbrachte ich oft in meinem Zimmer. Der Discman surrt, Magazine zwischen den Fingern und der Röhrenmonitor flimmert. Manchmal allein auf dem Fahrrad oder Basketballplatz. Hatte Freunde, aber war doch viele Stunden nur mit mir. Das hat sich mit den Jahren geändert. Heute ziehe ich viel Kraft aus Begegnungen. Hab da diese Vorfreude, wenn ich meine Lieblingsmenschen treffe. Sie in den Arm nehmen darf. Und wir einander zuhören. Beieinander sind. Lerne mit jedem Gespräch mehr über mein Gegenüber, aber auch über mich. Gleiche meine Weltansicht ab und entdecke blinde Flecken. Erfahre von Träumen, von Ängsten oder dem Alltag. Ein kurzer Stop im Café. Eine viel zu lange Nacht auf Kneipensofas. Darf mit Kindern rumalbern oder mit Hunden kuscheln. Bin dankbar für diese Stunden. Dankbar für jeden Abschnitt, den ich begleiten durfte.

Und ja, auch heute gibt es Abende, die nur mir gehören. Texte schreiben, Musik hören, Geschichten lesen. Aber bin momentan lieber unter Menschen. Kinder toben, Menschen bummeln und halten Händchen. Ich schaue zu. Bin ein kleiner Teil des Ganzen. Neugierig, doch still. Wege, die sich für einen kurzen Moment kreuzen. Ein Lächeln. Ein Nicken. Ein Blick. Bin nicht alleine in diesen lauten Tagen.

Welche Fragmente sind sonst so übrig geblieben?

  • Hab mich nach sieben Jahren wieder vor die Kamera getraut. Zu oft geschämt für die Lücken im Haar und das veränderte Aussehen. Inzwischen wieder zufrieden mit mir. Die Lachfalten etwas tiefer, die Schuhe etwas dreckiger. Aber immer noch mit Grinsen im Gesicht. Inga hat mir die Angst vor einem Fotoshooting genommen. Und ist mir mit durch Altona gestolpert. Ich mag die Bilder doch sehr.
  • Ein Jahr SPACE. Ein Ort, an dem Technologie und Content aufeinander treffen. Mitten in der Speicherstadt, wo Möwen kreischen und Barkassen die Touristen durch die Kanäle tragen. Bin gerne dort, denn auch hier treffe ich immer wieder tolle Menschen. Kann dort arbeiten und von anderen lernen. Schön, dass eine Stadt diese Begegnungen fördert.
  • An einem Strang ziehen. Als Team. Egal ob in einer Beziehung oder im Job. Leider gelingt das nicht immer, weil jeder seine eigene Perspektive hat. Seinen eigenen Blick auf die aktuelle Situation, das Ziel und die Rahmenbedingungen. Bei XING half uns die Auftragsklärung, über unterschiedliche Rollen hinweg Klarheit herzustellen. Arne Kittler verantwortete die Initiative und hat gerade eine Artikelserie über Klarheit im Produktmanagement geschrieben. Lässt sich aber auch gut auf andere Lebensbereiche übertragen. Denn kaum etwas funktioniert ohne Kommunikation als Fundament.
  • „Kommunikation ist unwahrscheinlich“ sagte der Soziologe Luhmann. Denn es ist schwierig sicherzustellen, dass eine Botschaft den richtigen Empfänger erreicht, korrekt verstanden wird und die gewünschte Reaktion hervorruft. Deshalb kann es helfen, ein Thema aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und gute Fragen zu stellen. In den letzten Monaten hab ich viel über die systemische Beratung gelernt, hab meine Haltung hinterfragt und mal wieder ordentlich gebüffelt. Somit darf ich mich nun geprüfter systemischer psychologischer Berater nennen. Und weiterlernen.
  • Teile ich meine Lieblingsmusik, ernte ich oft skeptische Blicke. Denn ja, für mich gibt es keine vielfältigere Musik als Deutschrap. Und K.I.Z. ist eine dieser Bands, die vielleicht für jede Stimmung das passende Lied hat. Denn während in der Ferne die Panzer rollen und jeder Hobby-Fußballtrainer behauptet zu wissen, wie der Konflikt gelöst werden kann, träumen doch alle nur von Frieden. Auf unterschiedliche Wege. Starkes Lied. Überhaupt ein sehr starkes neues Album. Ein anderer Ton für eine angezählte Welt.
  • Es beginnt mit einer quietschenden Bremse. Erst vorne. Dann hinten. Irgendwann wird der Bremsweg länger. Irgendwann bremst da nichts mehr. Nach knapp 10.000 Kilometern blieb mein geliebtes VanMoof S3 für mehrere Wochen im Keller. Keine Ersatzteile lieferbar. Keine Werkstatt hatte Termine. Schon doof, wenn man im Internet ein Fahrrad bestellt. Aber zum Glück Kai kennengelernt, der alles reparieren konnte. Hab es ganz schön vermisst, durch die Feldmark zu düsen.
  • Ein Wiedersehen nach vielen Jahren. Ein Moment, der alte Erinnerungen weckt, ein Kribbeln zurückbringt und zwei Menschen einander wieder zueinander führt. In „Blue Jay“ beobachten wir ein ehemaliges Paar bei dem Versuch, die Vergangenheit zu verarbeiten. Die Dialoge sind intim und ehrlich. In teils improvisierten Gesprächen werden ungelöste Momente aus einer gescheiterten Beziehung diskutiert. Ein berührender Film, der ganz ohne Lärm und Klischees überzeugt.
  • Es war wieder Product at Heart. Irgendwas zwischen Fachkonferenz und großem Klassentreffen der Produktszene. Mochte die Mischung der Themen und wurde vor allem von Branchenfremden Themen überrascht. Denn es gibt schon genug Frameworks. Warum also nicht noch mehr Experten aus anderen Feldern einladen? Von ihnen lernen, was diese für eine Zusammenarbeit benötigen und wie sie auf Produkte blicken.
  • Zuversicht entsteht oft aus kleinen Momenten. Seien es Begegnungen, Häuserfassaden oder der Wanderweg am Waldrand. In ihrem Buch „Der Trost der Schönheit“ reflektiert Gabriele von Arnim in kurzen Erzählungen, wie ihr die aktive Suche nach Schönheit in schwierigen Momenten Trost schenkt. Dabei ist Schönheit für sie keine Zugabe, sondern ein essentieller Bestandteil. Eine Notwendigkeit, um die Widersprüchlichkeit des Lebens aushalten zu können. Ein schönes Buch.
  • Langsam werde ich alt. Höre immer die gleichen Songs mit Grinsen im Gesicht. Und dann schafft es doch ein Lied im Shuffle-Modus, mich in neue Ecken zu schubsen. Paula Hartmann und Levin Liam transportieren so viel Gefühl. So viel Schmerz, gepaart mit Wut und Trotz. Mag ich sehr. Ob gemeinsam auf einem Song oder mit anderen Interpreten.
  • Den Großteil unserer Zeit verbringen wir auf Plattformen, auf denen Algorithmen entscheiden, was wir wann und wie oft sehen. Das führt zu einer Konzentration von Inhalten, aber auch zu einer Vereinheitlichung von Stil und Dialog. Wir brauchen ein wildes Internet. Denn werden komplexe Systeme (Diskurse, Gesellschaften, …) vereinfacht, werden sie zerstört. Nichts anderes erleben wir gerade. Wir müssen wieder Wissen teilen und Diskurse anstoßen, die über Selbstoptimierung, Verweildauer und Konsum hinausgehen.

Welche Begegnung ist dir in Erinnerung geblieben?

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Fragmente 🌈 Zuversicht

Meine kleine Blase ist gelähmt. Ich bin gelähmt. Wenn ich Zeit mit meinen Freunden verbringe oder wenn ich die Nachrichten meiner Freundinnen lese, macht sich Angst breit. Ein Gefühl der Ohnmacht. Aufgrund von Nachrichten, Wahlergebnissen oder vereinzelten Gesprächen in der Familie. Wie weit können sich Menschen entfremden? Was muss noch passieren, damit wir uns nicht bald alle an die Gurgel springen? In kleinen Runden schauen wir uns ratlos in die Augen. Die ersten Gedanken ans Auswandern werden konkreter. Frage mich, wie man in diesen Zeiten die Zuversicht behält. Sie wieder gewinnt. Das Gefühl, das ich bei den Demonstrationen für einen kurzen Moment hatte, darf nicht verschwinden. Wir schaffen das. Wir kriegen das hin. Und finden zueinander. Oder? Was, wenn nicht? Was, wenn Teile der Bevölkerung das nicht wollen? Was, wenn ich das auch nicht will?

Wir nehmen für uns in Anspruch, empathisch zu sein. Dass wir uns auf andere Meinungen und Sichtweisen einlassen können. Aber stimmt das? Wo ziehe ich meine Grenze? Wann blocke ich ab? Wann gehe ich einen Schritt entgegen? Und wann verlasse ich den Raum? Möchte nicht in einer Welt leben, in der jeder nur auf sich selbst schaut. Möchte nicht in einem Land leben, in dem immer mehr Menschen Angst haben. Auf beiden Seiten. Voreinander. Und vor dem Unbekannten. Warum schaffen wir es nicht mehr, auf die Erfolge zu schauen? Auf die Veränderungen, die überall stattfinden. Angegangen werden. Alles dreht sich nur noch um Gefahren, Probleme, Fehler. Möchte Geschichten hören von Menschen, die offen über ihre Ängste reden und zueinander finden wollen. Brauche Botschaften, die ich verstehe. Keine Phrasen. Keinen Populismus. Möchte, dass wir endlich die Fassade einreißen und darüber reden, was uns wirklich den Schlaf raubt. In der Hoffnung, dass es uns eigentlich um das Gleiche geht. Um die selben Werte. Möchte wieder daran glauben, dass wir das schaffen. Ein bisschen Zuversicht. Ein bisschen Vertrauen. Können wir das bitte versuchen?

Welche Fragmente sind sonst so übrig geblieben?

  • Endlich wieder auf dem Rad durch Hamburg und den Speckgürtel. Sonne im Gesicht. Matsch an der Hose. Irgendwo zwischen Energiebunker und Ponyhof. Ein Fischbrötchen auf die Hand. Mit der Fähre zum nächsten Café. Fühlt sich an wie Frühling. Und ein bisschen nach Kindheit. Stundenlang ziellos durch den Wald. Neue Wege entdecken. Langsam die innere Karte aufdecken. Du kannst mich verfolgen, denn ausgewählte Routen teile ich auf Komoot.
  • Mit Heute in Hamburg ist ein Projekt live gegangen, an dem ich die letzten Monate mitwirken durfte. Wir haben den kompletten Tech-Stack erneuert sowie die Marke und Positionierung überarbeitet. Ist immer wieder ein schönes Gefühl, wenn die Stränge am Ende zusammenlaufen und nun das Ergebnis für alle live geht. Heißt aber auch, dass ich ab Juli wieder für neue Projekte verfügbar bin. Falls du also einen Produktmenschen und Komplizen suchst, melde dich gerne ✌️
  • An der OMR kommt man in Hamburg kaum vorbei. Nicht nur auf LinkedIn häufen sich die Sales-Anfragen, auch in der U-Bahn erkennt man die Messebesucherinnen deutlich. Es ist nicht meine Konferenz. Zu laut. Zu viel. Zu selten mein Thema. Aber es gibt einen Vortrag, der mich (wie schon im letzten Jahr) beeindruckte: Wo wir in Sachen KI wirklich stehen und was uns erwartet. In diesem vollgepackten Deep Dive beschreibt Philipp Klöckner, welche fundamentalen Entwicklungen gerade stattfinden und wie er die zukünftigen Auswirkungen von KI bewertet. Ich mag sehr, wie dicht das Wissen in diesem Vortrag ist und ich schätze seine Arbeit, nicht nur im Podcast Doppelgänger, sondern auch im begleitenden Newsletter.
  • Dafür endlich wieder auf der re:publica gewesen. Bekannte Gesichter am bekannten Gleisdreieck. Und dieses ständige Gefühl, etwas zu verpassen. Fühlt sich an wie damals. Mache erneut den gleichen Fehler und hänge zu oft in Vorträgen über bekannte Themen rum. Ja, den Medien geht es schlecht. Ja, Produkte werden nur gemeinsam mit Nutzerinnen entwickelt. Ja, die Politik versteht das Internet nicht. Dabei ist es das Unbekannte, das mich reizt. Aber die Routine, die siegt. Die gesamte Konferenz gleicht einer Blase mit zu vielen Bühnen. Ähnliche politische Haltungen und der Großteil fühlt sich auf Social Media mittlerweile unwohl. Mochte die zufälligen Begegnungen, doch vermisste manchmal den konkreten nächsten Schritt nach den Vorträgen. Vielleicht braucht es dafür aber kleinere Formate und mehr Diskussion. Nun habe ich alle verpassten Vorträge in meiner YouTube-Watchlist, wo sie wahrscheinlich vergessen werden. Alles so wie früher und genau deswegen irgendwie schön.
  • Ich bin ein großer Fan des Podcasts Produktmenschen. Darin spricht Tobias Freudenreich mit den Personen, die oft im Hintergrund mit Teams daran werkeln, dass wir alle diese Vielfalt an Produkten haben. Mittlerweile steht Petra Wille eher im Vordergrund, teilt ihr Wissen auf Bühnen und kuratiert gemeinsam mit Arne Kittler die tolle Konferenz Product at Heart. Petra ist für mich ein Vorbild, weil sie ehrlich auftritt und kein Theater aufführt – was in der Produkt-LinkedIn-Buzzword-Influencer-Welt immer wieder vorkommt. In ihren Büchern gibt sie Einblicke in ihren Coaching-Alltag und fasst Themen praxisnah zusammen. Auf ihr erstes (großartiges) Buch folgte nun „Strong Product Communities“, in dem sie erklärt, was eine Community of Practice ausmacht. Und wie ihre Mitglieder und damit die ganze Organisation davon profitieren. Bin selbst ein großer Fan von ritualisiertem Austausch, um Inspiration zu bekommen und auch ein Gefühl von Gemeinschaft zu gewinnen. Sehr lesenswert. Genauso wie ihr Blog und Newsletter. Petra war auch einer der Gründe, die Selbständigkeit einfach mal auszuprobieren. Ende meines Fanboy-Monologs.
  • Ich habe in den letzten fünf Monaten so viel gelesen wie im ganzen letzten Jahr. Habe wieder einen Lese-Rhythmus gefunden. Dafür viele Streaming-Abos gekündigt. Gelangweilt von den immer gleichen Formen und dem überwältigenden Angebot. Verbringe meine Zeit lieber im Kapitel Drei, stöbere durch Empfehlungen und beobachte das Treiben. Mein Lesetagebuch findest du auf goodreads.
  • Wie muss es sich anfühlen, seine große Liebe beim Sterben zu begleiten? Der Psychoanalytiker Irvin D. Yalom und seine Frau Marilyn Yalom, eine Literaturwissenschaftlerin, lieben und verehren einander. In ihrem gemeinsamen Buch „Unzertrennlich“ beschreiben sie, wie sie zusammen wachsen. Und was es dann heißt, einander loszulassen. Kapitel für Kapitel wechseln sich die beiden ab. Ringen mit der Situation und den Zeilen des anderen. Hat mich sehr berührt.
  • Es war wieder Februar. OK KID holt so viele Erinnerungen in mir hoch, dass ich sie nur schwer in Sätze packen kann. Stand mit Gänsehaut im Mojo Club. Die Zeilen immer noch ganz tief im Gedächtnis eingebrannt. Zwischen Selbstmitleid und kaltem Kaffee. Eine kleine Zeitreise, die sich aber irgendwie nach Abschied anfühlte. Hoffentlich nur für einen kurzen Moment.
  • Plötzlich taucht da ein Album auf, das in den folgenden Wochen hoch und runter läuft. Gerda brachten die „besten MCs der Republik“ zusammen – mit dabei sind OG Keemo, Yassin, She-Raw und Kryptic Joe. Wie schön es sein kann, wenn Musik einfach überraschend erscheint. Ganz ohne Instagram-Ankündigungen, inszenierte Streits oder TikTok-Blamagen. Nicht einmal Musikvideos wurden gedreht und trotzdem macht das ganze Album großen Spaß.

Was gibt dir das Gefühl von Zuversicht?

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Fragmente 🪣 Bucketlist

Plötzlich scheinen gemachte Pläne vollkommen unrealistisch. Der Rahmen gesprungen und die Ziele verschwommen. Lebensabschnitte enden. Und dann herrscht Chaos im Stillstand.

Warum machen wir Lebenspläne? Sie geben Orientierung. Können uns motivieren und vorantreiben. Nächstes Level. Noch ein Stück höher. Sie inspirieren oder setzen unter Druck. Hund, Halbmarathon, Haus. Ist eine Sache erreicht, winkt die nächste Stufe verführerisch. Alles für die Bucketlist. Bevor es zu spät ist.

Auch ich mag Listen. Eine Struktur, die mich durch Unbekanntes leitet. Die mir hilft, den nächsten Schritt zu gehen. Aber was, wenn es gar nicht auf die Meilensteine ankommt? Was, wenn es viel mehr um das Gefühl geht, das wir uns wünschen? Muss ich in der Wüste stehen, um Weite zu fühlen? Braucht es einen Fallschirmsprung, um Freiheit zu spüren?

Wieso also nicht eine Liste voller Gefühle, die erstrebenswert sind? Die fester Bestandteil meines Lebens sein sollten. Unbedingte Liebe. Verspielte Neugierde und kribbelnde Vorfreude. Herzhaftes Lachen. Tieftraurige Stille. Die Aktivität und der Ort sind egal. Auch die Zeit oder die Dauer. Hauptsache das Gefühl macht sich in mir breit. Sei es mit oder ohne andere Menschen. Für einen kurzen Augenblick oder über längere Zeit. Ich will nur, dass diese Momente passieren. Sich in mir ausdehnen und alles für einen Augenblick vereinnahmen. Möchte das Gefühl wertschätzen. Und mich darüber freuen, dass es auch wiederkommen kann. Denn ich habe es nicht abgehakt.

Diese Vorstellung nimmt mir momentan den Druck. Sie schenkt mir Zuversicht. Denn es kann jederzeit und ungeplant passieren. Muss nur aufmerksam sein. Und wenn ich möchte, kann ich natürlich an einem Umfeld arbeiten, das als Grundlage dient. Ich kann lernen, mich für einen Moment oder ein Gefühl zu öffnen. Oder aber ich vertraue darin, dass es passiert. Wenn es soll.

Spazieren an der Elbe

Welche Fragmente sind sonst so übrig geblieben?

  • Mit jedem Artikel über die AfD, mit jeder Lüge auf WhatsApp und jeder Demonstration wuchs in mir der Drang, mich aktiv zu engagieren. Gespräche mit Freundinnen und Freunden endeten zu oft auf die gleiche Weise: „Eigentlich sollten wir etwas tun“ – deshalb werde ich mich in diesem Jahr politisch einbringen. Möchte verstehen, wie das System funktioniert und ob ich dort irgendwo hineinpasse.
  • Was wäre, wenn wir Menschen für ein Jahr im Winterschlaf wären – und die Welt sich erholen darf? Im SchauSpielHaus geht das Stück Der lange Schlaf dieser Frage nach. Bedrückend, aber ganz ohne erhobenen Zeigefinger. Mochte das Gedankenspiel und vor allem Lina Beckmann. Vielleicht sollte ich öfter ins Theater gehen…
  • Probiere überhaupt viele verschiedene Dinge. Wollte doch eigentlich nur Pflanzen und eine Vase kaufen, bin mit Leinwand und Acrylfarbe aus dem Laden gestolpert. Schaue mir Ausstellungen an, die auf dem Poster interessant erscheinen. Zeichne mit Midjourney und spiele mit Musikprogrammen. Einerseits ist es pure Ablenkung. Aber es fühlt sich auch schön an, etwas Neues zu entdecken. Und die Freiheit zu haben, es auch wieder liegen zu lassen.
  • Wohne mittlerweile im ABATON-KINO. All of Us Strangers hat mich tief berührt. Ein Film über den Verlust von Liebe. Und der Suche nach Halt. Hab lange nicht mehr so viel im Kino gefühlt. Und geweint. Dafür hat mich Perfect Days zum Grinsen gebracht. Ein Toilettenreiniger in Tokio, der im Alltag so viele schöne Momente entdeckt. Und diese wertschätzen kann. Emma Stone beeindruckte mich in Poor Things. Die Geschichte einer starken Frau und vieler schwacher Männer. Klasse inszeniert.
  • Sitze im Wohnzimmer bei Freunden und schaue in neugierige Kinderaugen. Sie halten den Blick und in mir drehen sich Gedanken. Bin unheimlich dankbar, so nah an diesen Lebensabschnitten zu sein. Miterleben zu dürfen, wie eine Welt entdeckt wird. Wie Regeln verhandelt und Vorsätze verworfen werden. Darf ein kleiner Teil von dieser Reise sein. Und trotzdem lösen solche Augenblicke in mir manchmal auch ein Gefühl von Einsamkeit aus. Das Buch Allein befasst sich mit diesen Momenten. Lesenswert.

Welches Gefühl steht auf deiner Bucketlist?

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