Andreas Spiegler

Schreiben. Stolpern. Schluckauf.

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Und das Licht geht aus

Ein leichtes Kribbeln. Völlig unauffällig und leise. Bemerkst es kaum, denn alles andere ist zu laut. Die Straße. Das Auto. Die darin sitzende Frau und ihr Kind auf dem Beifahrersitz. Hättest es fast nicht bemerkt, doch es kribbelt. Mal wieder. Kein Jucken. Kein Ziehen. Diesmal ist es angenehm. Fast schon schön. Mit jedem Schritt wird es intensiver. Ein unbekannter Rhythmus begleitet von meiner Stimme. Manchmal verpasst sie ihren Einsatz, aber das ist dir egal. Hauptsache es ist nicht mehr so ruhig. In deinen Gedanken.

Wir laufen durch bunte Gassen. Unter uns das Gestern. Vor uns ein Nebel voller Ungewissheit. Doch zwischen uns ist dieses schöne Gefühl der Vertrautheit. Der Nähe. Und das genügt für den nächsten Schritt. Kann man doch nie sagen, wie lange es anhalten wird. Wie lange die Farben jede deiner Bewegungen begleiten. Du fürchtest den Moment, wenn das Licht ausgeht. Plötzliche Schwerelosigkeit für zwei kurze Schläge deines Herzens. Danach ist alles wie zuvor. 

Ich schaue dir immer noch in die Augen.

Du schaust noch immer in Richtung Licht. 

Verlässt ein Mensch dein Leben, so baust du ihm Denkmäler. Malst Bilder aus Erinnerungen und schreibst Lieder zu seiner Rückkehr. Doch da kommt niemand. Ein Zustand des Wartens, der unerträglich wird. Das Warten macht dich schlapp. Entzieht dir das faszinierende Grinsen, auf das du mal so stolz warst. Nun ist es fort. Wie so viele andere Dinge. Wie auch das Kribbeln. Dieser farblose Moment, der dennoch alles strahlen lässt. 

Warum ist dann gerade etwas anders? Ich kann es dir nicht sagen. Du kannst es mir nicht erklären. Aber das Wippen deiner Finger und Zittern deiner Stimme verrät es. Heute kam jemand zurück. Blickt staunend auf deine Denkmäler. Von Bildern umgeben und von Liedern geleitet. Ich kann nicht anders. Nehme dich an der Hand und frage, ob ich ein paar Augenblicke dabei sein darf… 

Du schaust mir zaghaft in die Augen.

Ich schaue noch immer zu dir.

Und das Licht geht aus.

Doch die Furcht. Sie fehlt. 

Fetzen #44

Das passt nicht in dein Leben. Ich passe nicht in dein Leben. Und so verschwinde ich. Sage nie wieder Hallo. Nur um nie wieder Tschüss sagen zu müssen.

X

In mir ist es still geworden. Ein leises Echo macht mir klar, wie groß der Raum war. Unser Raum. Gefüllt mit Erwartungen. Ängsten. Geheimnissen. Bekundungen. Jetzt alles leer gefegt. Fenster auf. Tür auf. Durchzug. Mit der letzten Melodie geht auch der Bass. Schatten eines jeden Satzes. Sitze mittendrin. Die Knie an mich gezogen. Zwischen müde und matt spüre ich ein Ziehen. Nach draußen, wo die Anderen lachen. 

Hat mich doch dein Lachen die letzten Monate rausgezogen. Quer durchs Land. Mit Sorgen an der Hand. Haben gezerrt und gemeckert. Sind erst still geworden, wenn die Tür hinter uns ins Schloss fiel. Die Decke uns unsichtbar werden ließ. Bis morgen früh findet uns hier keiner. 

Jetzt die Decke auf dem Fußboden. Ein Kissen. Mein Kopf. Daneben nur kleine Falten im Bettlaken. Haben jedes Wort gehört. Ich hab jedes Wort gehört. Aufgesaugt. Zehnmal in den letzten Tagen umdreht. Erkenne das große Ganze, auch wenn ich die kleinen Punkte lieber mochte. 

Raus hier. Augen weit geöffnet. Aufrecht in Richtung anderswo. Wie es mir geht fragen sie. Außen gut. Innen leer.

Im Bett mit Casper ?

Huhu. Da bin ich wieder. Ein vollgepackter Monat liegt hinter mir. Der erste Monat im neuen Job. Voller Euphorie. Ideen im Kopf und User Stories an den Wänden. Ich mag die vielen Berührungspunkte mit der Redaktion, Konzeption und Entwicklung. Manchmal sind es noch zu viele Dinge, die man verarbeiten muss. Aber das wird kommen mit der Zeit. 

Genau so wie die Zeit spontanes Herzstolpern wieder lindern wird. Dabei helfen Freunde. Buchstaben. Eis. Und andere schöne Dinge. Zum Beispiel die zweite Staffel von Halt and Catch Fire. Sie erzählt die ersten Gehversuche von Onlinespielen, Communities und Spielekonsolen. Verrückte Nerds, die in den frühen achtziger Jahren alles verändern wollen – dabei aber auch ihr komplettes privates Umfeld in Machtkämpfe reißt. In kürzester Zeit durchgeschaut.

Schwerer fällt es mir da momentan mit der zweiten Staffel von Mr. Robot. Die Welt wurde gehackt. Banksysteme sind offline, Menschen haben ihr gesamtes Geld verloren und alles steht auf dem Kopf. Während ich die erste Staffel super fand, beginnen die neuen Folgen sehr düster. Es dreht sich alles um die psychischen Probleme von Elliot. Existiert sein Vater nur in der Vorstellung? Wem kann man noch trauen? Weshalb sind so viele Sprünge zwischen den Ereignissen. Immer noch aufregend, aber der Fokus liegt nun viel mehr auf Kopfchaos. Mindfuck. 

Ich kaufe Bücher auf Empfehlung. Oder weil sie ein schönes Cover haben. Oder kurze verquere Sätze. In einer der schönsten Buchhandlungen Hamburgs wurde mir die Erzählungen von Karen Köhler ans Herz gelegt. Wir haben Raketen geangelt. Es geht um Momente, in denen alles aus den Angeln gehoben wird. In denen man stolpert. Und fallen muss. Viele der kurzen Ausflüge gefielen mir sehr. Manche wirkten mir zu gleich. Aber insgesamt ein schönes Buch, das gebrochene Seelen dabei begleitet, wie sie wieder heilen. Ganz langsam.

Außerdem angehört: Der goldene Handschuh von Heinz Strunk. Ganz neumodisch auf Spotify. Bedrückende Erzählung vom Fall Fritz Honka. Kneipengeschichten vom Hamburger Berg. Derbe. Direkt. Mir teilweise zu abartig. Nicht die beste Entscheidung, wenn man danach schlafen will.

Vielleicht liegt es aber auch an meiner Matratze, dass ich momentan so mies schlafe. Dachte ich mir. Und da man jetzt diese auch im Internet kauft und die Meinungen auseinander gehen, habe ich einfach das “Original” bestellt. Eine Casper. Wie der Musiker. Verrückt. Bin sehr gespannt. Wie werde ich eigentlich alte Matratzen los? Kann ich daraus etwas Tolles bauen? Fynn Kliemann?

VI

Alles muss so. Hat seine Richtigkeit. Seinen Grund. Es zeichnete sich ab und du hast es mit Farbe gefüllt. Die Konturen gestärkt und den letzten Strich gezogen. Jetzt liegt es da – ein Skizzenmeer. Jede Welle zog einen von uns beiden weiter hinaus. Kribbeln an den Händen. Den Füßen. Am Rücken. Manchmal orientierungslos. Manchmal einfach nur losgelöst. Vom Ufer und seinen scharfkantigen Tatsachen. Steine verschwinden nicht einfach so. Müssen weggetragen werden. Stück für Stück. Deshalb reizt das Meer. Reizt alles Neue, das einen leicht fühlen lässt. 

Liege wieder am Ufer. Die Haare noch nass. Salzige Lippen. Hände wieder leer, dafür das Gefühl noch da. Wird irgendwann weniger. Wird irgendwann anders. Zum Aufstehen zu schwach, aber spüre Wärme auf meiner Haut. Sie war immer da. Hat manchmal still beobachtet – und manchmal gewarnt. Heute ist sie einfach nur da.  Steht hoch oben. Erhaben. Zweifellos.

Ich will doch nur ans Meer. Hatte ich dir gesagt. Daraus wurde mehr. Meterhohe Versprechen gefolgt von erwartungsvoller Stille. Jetzt ist da nur noch Stille. Und irgendwann kommt wieder die Flut. Doch dann ist jeder von uns woanders. Ganz oben oder ganz unten. Aber wieder am Schwimmen. Füße fern ab vom Grund. Denn alles muss so.