Andreas Spiegler

Schreiben. Stolpern. Schluckauf.

Archive (Seite 15 von 67)

Hier. Mit euch.

Viel zu kleine Augen. Dunkelgrauer Himmel. Die kalte Luft erschwert das Atmen. Hände graben sich in Hosentaschen. Vor uns leere Gassen. Kleine Cafés werden von dicken Eisentoren verdeckt. Wir sind geflohen. Haben alles liegen lassen. Ein Abschied, der uns leicht fiel. Mein Blick tastet sich an Häuserwänden entlang. Inspiziert jede schwungvolle Kante und sucht ein kleines Lebenszeichen. Um mich herum scheint alles zu schlafen. Wir können dies nicht. Wollen nicht. Und laufen fort. 

Dreck an meinen Schuhen. Kleine Sprünge lassen mich Zebrastreifen überqueren. Zeitungsseiten im Rinnstein und die Telefonzelle hat lange keine Stimme mehr vernommen. Die Bushaltestelle streckt ihre Arme aus. Doch wir sind schneller. Klettern Stufen empor. Neugierig. Atemlos. Haben keine Zeit zu zögern und wollen immer weiter nach oben. Ihr könnt ruhig unten bleiben – dort waren wir schon. Halten Albträume zum Himmel und lassen sie von Tauben entführen. Kein Gedanke an morgen. 

Jeder Schritt in eine andere Richtung. Ein Schatten auf meiner Schulter. Merke, wie sich die Vergangenheit anschleicht. Selbst hier bin ich nicht alleine. Hunderte Kilometer von dir entfernt. Hast dich in einer Jackentasche versteckt und verfolgst mich. Ich traue mich nicht, meinen Kopf zu drehen. Drehe die Musik etwas lauter. Übertöne dein Lachen. Übertöne dich. Eine Hand packt meinen Arm und zieht mich in die Metro. Zu enge Sitze erzwingen eine ungewollte Nähe. Es fühlt sich komisch an, wenn du kein Wort verstehst. Wie eine schräge Melodie. Ich suche nach bekannten Tönen. Spüre sie nicht. Meine Augen wandern durch den Wagon. Hübsche Frauen haben ihre Köpfe gegen das Fenster gelehnt. Ihre Augen geschlossen. Ihre Münder versteckt in bunten Tüchern. 

Raus jetzt. Die Treppen hinunter. An ernsten Blicken vorbei. Straßenlaternen führen uns zum Licht. Metall und Stahl klettern um die Wette. Überholen sich gegenseitig, bevor sie den Himmel streifen. Am Horizont die ersten Sonnenstrahlen. Kriechen unter ihrer Decke hervor. Greifen nach allem, was unerreichbar scheint. Ich lasse mich gerne vereinnahmen. Die Hand auf dem Klavier. Schwarz. Weiß. Kalte Hände spielen das letzte Lied, während ich deine glänzenden Augen erblicke. Du sitzt alleine im Kettenkarussell. Deine wunderschönen Beine baumeln rasch und mein Herz tut es ihnen gleich. Warum tust du mir das an? Bringst mich ein um das andere Mal zum Stolpern. 

Kennst du das Gefühl, wenn viele fremde Gesichter ein Bekanntes formen? Wenn du auf einem Platz stehst und glaubst, die Menschen drehen sich im Kreis. Auf festen Bahnen. Nutzen die selben Worte für die selben Gedanken. Und du gehörst nicht dazu. Kannst ihre Sprache nicht sprechen. Ihre Tänze nicht erwidern. In solchen Momenten bleib ich stehen. Und freue mich dennoch da zu sein. Freue mich zu sein. Hier. Mit euch. 

Kein Augenblick mit Augenblick

Die Tür des Restaurants öffnet sich schwungvoll. Du betrittst neugierig, doch fokussiert den Raum. An deiner Hand ein Funkeln. Ihre Hand fest in deiner Hand. Du wirkst glücklich. Stolz. Verliebt. Bei der Suche nach einem freien Tisch streift dein Blick meine rechte Wange. Mehr wirst du nicht wahrgenommen haben. Während ich dich sorgsam mustere. Dein gerade geschnittenes Sakko. Passend zur blauen Jeans. Die Haare lose im Gesicht. Kleine Sommersprossen auf der Nase. Du hast den ganzen Tag gearbeitet. Oder behutsam auf die Kinder aufgepasst. Während deine Frau Kreativkonzepte entwickelte. Brainstorming an Glasfronten von Großkonzernen. Ihr scheint unverletzbar. Kreuzt meine Gedankenwelt und geht an mir vorbei. Ich erhasche kurz euren Duft – bevor ich wieder den Blick senke. Vor mir ein großes Glas Wasser. Daneben eine Wurst-Käse-Platte. Fast leer. Ein Hungergefühl im Herzen ist dennoch geblieben. 

Wie jeden Mittwochabend sitze ich hier und beobachte die anderen. Bin ganz für mich. Strahlende Gesichter umarmen gut-gekleidete Begegnungen. Ihr diskutiert mit starken Worten über noch stärkere Thesen. Bestellt eine weitere Runde und schaut euch dabei vertraut an. Ungeduldig zeichnen meine Finger Linien in die Holzplatte. Sie ist die Bühne zwischen uns. Darauf Handballen und Getränke. Niedersinkende Argumente. Diese Bühne betrete ich nicht. Stehe am Rand und schaue zu. Warte auf meinen Einsatz. Auf das Zeichen vom Dramaturgen. Es kommt keins. Seit Jahren. Deshalb bleibe ich still. Nicht auffallen. Nicht stören. Bloß nicht das laute Treiben mit meinen Gedanken zum Stocken bringen. Sie würden verstummen. Mich anstarren. Verstört würden sie die Köpfe zusammenstecken. Tuscheln. Ich würde es trotzdem hören. Ihr Urteil. Ein ständiger Bestandteil. Mein Begleiter. Der Einzige. 

Aufwachen bedeutet auffinden. Ich in meinen vier Wänden. Mein Bett. Mein Gesicht im Spiegel. Kein Du. Kein Wir. Kein Augenblick mit Augenblick. Einsamkeit ist ein Kopfsalat. Ist ein Knoten, der sich selbst auffrisst. Zuschnürt. Abkapselt. 

Ist da jemand? 

Fetzen #49

Und mit jedem Schritt sammelst du neue Steine. Glatt. Schräg. Spitz. Hinterlassen ihre Spuren, wie du deine. Stimmen im Hintergrund. Dein Blick sucht Halt in bekannten Kannten, während rotes Licht dein Herz flutet.

Ich baue ab

Diese Woche war jetzt eher so mäh. Gesundheitlich angeschlagen. Schlecht geschlafen. Das geht auch besser. Trotzdem gibt es wieder ein paar schöne Dinge zum Wochenende…

Gefunden: Wenn man krank im Bett liegt, dann half früher Benjamin Blümchen. Daheim liegen zig Folgen im Keller. Heute sind es (leider) keine Hörspiele mehr, dafür aber Podcasts. Und zwei tolle Folgen habe ich gefunden: Bei Einhundert ging es um den Tod. Oder auch die Konfrontation mit ihm:

Peter*, 70, hat Parkinson. Seine Frau Edith*, 70, ist kerngesund. Im Herbst 2014 teilen sie ihrem Sohn Patrick* eine folgenschwere Entscheidung mit: Ein dreiviertel Jahr später, nach Ostern, wollen sie zusammen aus dem Leben gehen – weil Peter seine Krankheit nicht mehr erträgt.

Mama und Papa sind immer für einen da. Sie halten dich im Arm. Begleiten deine Schritt. Schubsen. Ermahnen. Hören zu. Und irgendwann müssen sie gehen. Aber wie reagiert man wohl, wenn siedas früher wollen? Gemeinsam. Ein beklemmendes Gefühl nur darüber nachzudenken. Die Handynummer zu wählen und niemand hebt ab. Bilder ziehen an dir vorbei. Du realisierst, dass du nie wieder die Stimme hören wirst. Sie dir nie wieder die Tür aufmachen werden. Ein Gedanke, das ich beim Hören immer wieder versuchte wegzustoßen. Gerade deswegen sehr hörenswert. 

Außerdem gibt es einen tollen Podcast zum Thema Design: Formfunk. In sehr persönlichen Gesprächen sprechen Grafiker, Gestalter und andere Kreative über ihre Arbeit. Ich mochte sehr das Gespräch mit Erik Spiekermann. Er spricht darüber, wie schwer es ist große Marken zu verändern. Was ihn an Typografie begeistert. Was seine Freunde und Kollegen über ihn sagen.

image

Gehört: Endlich mal wieder auf einem Konzert gewesen. Käptn Peng & die Tentakel von Delphi. Grandiose Texte. Beats, die einem tagelang im Kopf bleiben. Theorie. Kreise. Unendlichkeit. Zum ersten Mal im Mehr! Theater gesehen, das nicht wirklich für so eine Musik gemacht ist. Dafür war die Stimmung trotzdem super und ich war von der Vielfalt aller Zuschauer überrascht worden. Bald kommt das neue Album ?

image

Gesehen: Aziz Ansari ist zurück mit der zweiten Staffel von Master of None. Schon die erste Staffel begeisterte mich durch ihre ehrlichen Beobachtungen. Dates, Freunde, Liebe. Dinge, die einem selbst begegnen und oft nicht ganz so sind, wie man sie sich wünscht. Nun lernt Dev (Aziz) zuerst seine Leidenschaft für Pasta, dann eine tolle Frau kennen. Sie ist verlobt. Einfühlsam erzählt, ganz ohne Übertreibungen oder Klischees. Hab die zehn Folgen regelrecht verschlungen. 

image

Gegessen: Maultaschen. Im Lieblingsrestaurant für schwäbisch-kulinarische Speisen – Zum Spätzle. Neben dem Brachmanns Galeron ein toller Ort, um die Entfernung in den Süden kurz zu vergessen. 

Mehr gibt es nicht zu berichten. Die nächste Woche wird kurz. Feiertag. Brückentag. Meertag. ?

Katastrophenstimmung

Liebes Tagebuch, heute habe ich meine halbe Wohnung geflutet. Eigentlich wollte ich nur den Kühlschrank abtauen… Und während man die Sauerei aufputzt, schmelzen die Heidelbeeren. Großer Putztag bei Herrn Spiegler. Katastrophenstimmung. Nicht nur in den eigenen vier Wänden, sondern auch im Deutschen Schauspielhaus. Dort läuft gerade das neue Stück von Schorsch Kamerun. Über die Optimierungsgesellschaft. Populismus. Und die Medien. Deshalb war ich da. Wobei, hauptsächlich wegen ihr. Weitere Highlights der Woche:

Gefunden: Ich mag Gin Tonic. Und wenn man sich ein bisschen austobt, so ist man bestimmt über Monkey 47 gestolpert. Dieser Gin kommt aus dem Schwarzwald und wurde u.a. von Christoph Keller entwickelt. Nun hört er auf, wie er beeindruckend im Brandeins-Interview beschreibt:

Wenn ich jetzt weitermachte, würde es nur noch darum gehen, ihre Wirtschaftlichkeit auszubauen, neue Märkte zu erobern, Wachstum zu steigern und Gewinn zu maximieren. Ich bin aber kein Unternehmertyp. Ich bin gut darin, Dinge aufzubauen und eine Vision zu entwickeln. 

Ein ehrliches Gespräch über den Wachstum, der auch im Stück Katastrophenstimmung angedeutet wird. Christoph beschreibt, wie sich sein Gefühl zum Produkt verändert hat. Er am Ende nicht mehr gelebt hat – und genau dieses Leben beschreibt er sehr eindrücklich: 

Leben: Neugierde, Experiment, Spiel, Fantasie, Risiko. Das Leben ist eine Erzählung mit vielen Wendungen. Und mit Empathie. Man sollte Spaß haben an dem, was man tut – und es sein lassen, wenn man ihn nicht mehr hat.

Geschrieben: Ein paar alte Worte in neue Gewänder gepackt. Langsam werde ich wieder warm mit den Worten. Glaube ich. Taste mich an Sätze und Beobachtungen.  

image

Gehört: Murakami ist einer dieser Autoren, die ich sehr bewundere. Seine Sprache ist einfach. Er beobachtet liebevoll und direkt. Schreibt tolle Geschichten über Außenseiter und ihre Sicht auf andere. Erst jetzt habe ich einen Artikel über seine Musikleidenschaft gefunden – inkl. einer Spotify-Playlist mit über 3000 Stücken, die alle auch als Soundtrack zu seinen Büchern passen könnten.  

Gesehen: Ein weiterer Klassiker. Diesmal Miss Marple, die verschiedene Morde rund um ein Erbe aufklärt. Der Wachsblumenstrauß war ein schöner Ausflug nach England. Mochte die Musik und die fehlende Hektik. Ruhig erzählt, mit klaren Charakteren. Solch einen Film findet man natürlich nicht bei Netflix. Deshalb durfte ich mich bei einer Videothek anmelden. Im Jahr 2017. Sehr lustiges Gefühl und zahlreiche Erinnerungen an die Schulzeit. Wo man durch Gänge schlich, mit Freunden teilweise heftige Diskussionen über die Filmauswahl hatte und am Ende immer bei Austin Powers endete. 

Genervt: Buzzwords nerven. Phrasen nerven. Deshalb lud man in den Mercedes.Me Store zu Tell me: Business Buzzwords. Dort ging es um den Print-Journalismus. Klassische Journalisten trafen auf Snapchat-Kids. Eine Agenturvertreterin vermittelt und Gründer erzählen von ihren Niederlagen. Leider immer die selben Gespräche. Finanzierung schwierig. Menschen konsumieren anders. Früher war alles… Ich würde gerne mal wieder auf ein Meetup gehen, bei dem man neue Dinge lernt. Sich nicht gefühlt zwei Stunden über bereits Gesagtes streitet. Gibt es sowas noch?

Getroffen: Nicht wirklich getroffen, aber dennoch sehr persönlich war die Lange Nacht der ZEIT mit Bosse. Ein toller Künstler, dessen Lieder mich sehr berühren. Direkte Worte zu intensiven Gefühlen. Die jeder kennt, aber nur wenige so schön beschreiben können. Auch das Gespräch war ehrlich und unaufgeregt. Netter Typ, der Herrndorf mag. Alleine deshalb ?

Und mit Bosse auf Anschlag werde ich jetzt noch ein paar Sonnenstrahlen tanken. Kommt gut in die neue Woche. ?