Am Anfang des Jahres war da verdammt viel Ungewissheit. Ein Neuanfang, der nicht auf meiner Bucketlist stand. In mir alles kopfüber, draußen alles erschreckend gleich. Die Welt drehte sich weiter und ich musste funktionieren. Einen neuen Rhythmus finden. Routinen etablieren. Muster verstehen. Und akzeptieren, dass manches einfach ganz viel Zeit brauchen wird – und gute Freunde, Schokolade und Umarmungen.

Das ganze Jahr ein Wechselspiel. Sonne und Nebel. Laut und leise. Einmal mit übervollem Herzen und Plänen, dann wieder nachdenklich und gelähmt. Ich schaff das schon. Ich will das nicht. Immer noch nervös, wenn sich Vergangenes in den Vordergrund drängelt. Aber mit jedem Monat etwas zufriedener. Mit jeder Jahreszeit ein Stück mehr bei mir. Immer wieder ein Grinsen im Gesicht. Immer wieder eine Träne am Kinn. Beides okay. Irgendwie ganz okay.

Fühlte mich immer wieder als Teil einer nicht endenden Satire-Show. Ein verurteilter Straftäter kehrt ins Weiße Haus zurück und will sein Land abschotten. Ein Tech-Milliardär nutzt seine Plattform für Verschwörungstheorien und rechte Propaganda. Verliere komplett die Lust an sozialen Medien, wo Ideologie über Mitgefühl herrscht. Die Welt kämpft. Gegen sich selbst, gegen alte Konflikte, gegen neue Krisen. Extremisten und alles Schwarz-Weiß. Nachhaltiger Klimaschutz ein Lippenbekenntnis. Zu kurz der Zeithorizont. Zu groß der Wunsch nach Wohlstand und der Vergangenheit. Möchte in keinem Land leben, wo eine rechtspopulistische Partei unentwegt Ängste schürt und Demokratie durch autoritäre Fantasien ersetzen will. Hab kein Bock auf Nazis. Möchte Gleichberechtigung und das Ende des Patriarchats. Es braucht keine starken Männer, die vor Sorge um ihre schwindende Macht wie trotzige Kinder alles kaputt machen. Sehne mich nach Begegnung und Augenhöhe. Sehne mich nach einem Moment zum Durchatmen. Und nach Optimismus.

Und damit es nicht langweilig wird: Wirtschaftskrise. Auch ich musste in meinem zweiten Jahr als Selbstständiger merken, wie Unternehmen vorsichtiger wurden. Abgesagte Projekte und reduzierte Beauftragungen. Es war holprig. Weniger Umsatz, dafür mehr Freizeit. Kein schlechter Deal. Durfte dennoch mit tollen Menschen an schönen Projekten arbeiten. Ein großer Relaunch und eine Neugründung. Geschäftsmodell-Beratungen und Produkt-Coachings. Konzentrierte mich auf das zweite Jahr meiner Ausbildung zum systemisch-psychologischen Therapeuten und investierte viel Zeit in AI-Tools. Baute Anwendungen und Automatisierungen, generierte Stimmen und Kunst. War seit Jahren mal wieder auf der re:publica und erneut auf der Product at Heart. Mag weiterhin die Selbstbestimmung und Freiheiten. Sehne mich aber immer wieder nach einem festen Team. Spiele mit dem Gedanken, für eine Zeit aus dem Ausland zu arbeiten. Und irgendwann etwas ganz anderes zu tun.

Verbrachte viel Zeit mit Freundinnen, Freunden und ihren kleinen Familien. Auch wenn es nicht immer einfach ist, strahlende Babyaugen und liebevolle Pärchen zu beobachten. Bin manchmal das dritte Rad und dann wieder fest integriert. Bin dankbar für diese Beziehungen. Für Freundschaften, die nach ruhigen Jahren wieder intensiver sind und mich tragen. Haben gemeinsam Nächte durchgetanzt, sind in Kneipen versackt, haben Bingo gespielt, Apfelkuchen gegessen, am Meer geweint, auf Konzerten gewippt und in Museen gestaunt. War in den Wäldern von Teneriffa und auf den Heidewegen von Lüneburg. Bin vom Zehn-Meter-Turm gefallen und auf Bunker gestiegen. Mit dem Rad in den Speckgürtel und mit dem Zug nach Süddeutschland. War meiner Familie ganz nah. War meiner Familie ganz fern. Hab sehr viel Zeit mit mir verbracht. Das war schön. Das war schwierig. Das war anders.

Es gibt kaum etwas, das mich so sehr hält, wie Musik. Dieses Jahr war es die Musik von Doechii, Noga Erez und Apsilon, die mich überraschte. Aber auch Levin Liam und Paula Hartmann haben den Weg in meine Playlist gefunden. Ich durfte beim Geburtstags-Konzert von Fatoni dabei sein, OK KID nach Jahren wieder live sehen und mit Deichkind die Trabrennbahn platt springen. K.I.Z schafften es die politische Lage einzufangen und das Produzenten-Team Gerda überzeugte mit Features wie  OG KeemoYassinShe-Raw und Kryptic Joe. Seit wenigen Tagen läuft hier außerdem das Casper-Konzert in Dauerschleife. Insgesamt 453 Stunden mit Grinsen im Gesicht.

Was Podcasts angeht, tritt bei mir eine Form der Erschöpfung ein. Hab wenig Neues ausprobiert, dafür viele bekannte Formate gehört. Mag die Gespräche im Hotel Matze und unendlichen Podcast Alles gesagt. Die Geschichten von Search Engine und World Wide Web fesseln, während Fest & Flauschig, das Podcast Ufo und Baywatch Berlin mich regelmäßig zum Lachen bringen. Die Lage der Nation ordnet mir Politik und Nachrichten ein, während die Doppelgänger mir Wirtschaft und Börse näher bringen.

Dafür war das letzte Jahr ein tolles Filmjahr. Denn ich habe ein Kinoabo abgeschlossen und verbringe seitdem viel Zeit im Abaton und Zeise. All of Us Strangers hat mich tief berührt, Perfect Days hat mir die Schönheit des Alltags gezeigt und The Apprentice war erschreckend nah an der Realität. Begeistert haben mich der Humor und die Ehrlichkeit von Shrinking und die Hilflosigkeit von 30 Tage Lust. Verstört haben mich Rentierbaby und Poor Things – auf eine gute Art und Weise.

Zu Beginn des Jahres habe ich mir vorgenommen, jeden Monat ein Buch zu lesen. Insgesamt sind es 27 Bücher geworden, was mich total freut. Lese in der Bahn, nach dem Sport oder vor dem Schlafen. Liebe ist gewaltig hat mich tief berührt. Die Wut, die bleibt machte mich wütend und traurig. Untenrum frei beschreibt, wie unfrei Geschlechterrollen und Sexualität ist. In Freunde lieben dreht sich viel um die Frage, wie intensiv Freundschaften sein dürfen. Und Der alte König in seinem Exil beschreibt die entstehende Distanz einer Alzheimerkrankheit. Der Trost der Schönheit führte mir die Schönheit kleiner Momente vor Augen und Unzertrennlich lies mich spüren, wie sich eine sterbende Liebe anfühlt.

Da ist immer noch verdammt viel Ungewissheit. Aber ich kann sie immer besser aushalten. Mag die kleinen Überraschungen. Die lauten Momente mit anderen Menschen. Freue mich auf schöne Begegnungen. Und irgendwie auch auf emotionales Stolpern. Auf erste Sätze und ernste Absichten. Bin neugierig. Will mutig sein. Will mich trauen.


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