Schreiben. Stolpern. Schluckauf.

Menschen brauchen Gemeinschaften

Wie Medienmarken geschützte Räume gestalten können

Als wir zu Beginn der Corona-Pandemie mit den Nutzerinnen und Nutzern von brand eins sprachen, lernte ich von einem wachsenden Wunsch: Die Suche nach Gleichgesinnten und geschützten Räumen. In einer solchen Krise braucht es weniger neue Inhalte und Formate, sondern mehr Dialog. Eine Gemeinschaft, die moderiert miteinander wächst.

Und so begann ich mich damit zu beschäftigen, wie Medienmarken geschützte Räume gestalten können.

Dieser Artikel sammelt Gedanken und Beispiele, die ich bei meinem Impulsvortrag für nextMedia.Live vorgestellt habe.

Warum Gemeinschaften für Medienmarken interessant sind

Seit jeher wollen Medienmarken mit ihren Inhalten Menschen erreichen. Sie informieren und unterhalten. Zu Beginn gab es eine Handvoll, mittlerweile ist die Zahl der Quellen massiv gewachsen. Es ist schwierig geworden, einen Überblick zu bewahren. Jedes Unternehmen schreit nach Aufmerksamkeit – und Inhalte werden teilweise beliebig und kopierbar.

Gleichzeitig beobachte ich aber Marken, die es in diesem Lärm schaffen gesund zu wachsen. Es sind Unternehmen wie die Rocket Beans oder 1E9, aber auch Einzelpersonen wie Raul Krauthausen. Sie tun dies über gute Inhalte – viel mehr aber mit ihrer Haltung. So positionieren sie sich und bringen über ihre Kanäle (die von Print und Bewegtbild zu Social Media reichen) gleichdenkende Menschen zusammen. Versammeln hinter sich wachsende Gemeinschaften, die eine Leidenschaft teilen. Eine Sicht auf die Welt. Diese enge Bindung herrscht zwischen der Marke und ihren Fans –  auch ohne konkreten Anlass vernetzen sich die Menschen einer Community. Sie tauschen sich aus und helfen sich gegenseitig. Diese Treue macht Gemeinschaften für Medienmarken interessant. 

Früher schloss man ein Abo ab und erhielt für sein Geld regelmäßig Inhalte. Dieses Modell hat seine Daseinsberechtigung und funktioniert. Jedoch liegt es in der Natur der Menschen, dass sie Dinge verstehen wollen. Sie möchten dabei sein, wenn etwas entsteht und wünschen sich Transparenz. Ehrlichkeit. Einen Einblick in ein Unternehmen, das sie spannend finden. Was früher für eine kleine Auswahl an Menschen durch Leserbriefe oder Redaktionsbesuche ermöglicht wurde, hat durch die sozialen Medien eine neue Dimension erreicht. Unternehmen wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind theoretisch rund um die Uhr erreichbar. Fragen lassen sich stellen – der Blick hinter die Kulisse. Dies passiert gewollt und ungewollt. Und leider noch sehr nach dem alten Muster: Senden und Empfangen. Weiter. Zwischendurch ein neuer Kommentar. Das macht aber noch keine gesunde Gemeinschaft aus. 

In den letzten Jahren sieht man eine Gegenbewegung. Es werden Mitgliedschaften verkauft. Teilweise dient dies um komplett neue Medienmarken aufzubauen, manchmal ist es das alte Abonnement in neuen Kleidern. Unternehmen wie Krautreporter schaffen es aber eine tatsächliche Bindung einzugehen. Eine Art Vertrag, der zwischen den Sendern und Empfängern geschlossen wird. Und bestenfalls diese Zweiteilung reduziert. Denn die Crowd soll nicht nur etwas finanzieren, sondern sie will eingebunden werden. Gemeinsame Werte sorgen für eine Verbindung. Sie sorgen dafür, dass eine langjährige Treue entstehen kann. Ein Vertrauensvorschuss und somit stabiler Erlösstrom. Dieser eröffnet die Möglichkeit, neben den ursprünglichen Inhalten auch ergänzende Produkte und neue Geschäftsmodelle innerhalb der Gemeinschaft zu entwickeln – sofern sie die Mitglieder auf ihrem Weg begleiten. 

Gemeinschaften leben vom Miteinander. Im Gegensatz zum Abo geht es nicht um den reinen Konsum, sondern um Partizipation. Inhalte sind zwar oft der Anstoß, aber Menschen bleiben wegen der Verbindung und den gemeinsamen Werten. Das macht Gemeinschaften so interessant für Medienmarken, die eine Haltung haben. Sie schaffen eine Vertrauensbasis, die wesentlich stärker als Gelegenheitskäufe und einfache Likes ist. 

Was eine gute Community auszeichnet

Will man verstehen, was eine Gemeinschaft für Medienmarken sein könnte, so sollte man verstehen, was eine stabile und gute Gemeinschaft ausmacht. Völlig losgelöst von der Branche und dem eigenen Produkt. Erst dann lassen sich auch Parallelen zur Medienwelt herstellen. Im Folgenden skizziere ich sechs Merkmale – basierend auf eigenen Erfahrungen, Gesprächen und dem tollen Buch The Art of Community. Weitere Quellen und Beispiele finden sich am Ende des Artikels.

GEMEINSAME WERTE

Ich tue mich schwer mit dem Begriff Purpose, aber genau dieser hilft Menschen bei der Identifikation mit anderen Menschen. Eine Gemeinschaft sollte klar kommunizieren, für was sie steht und was sie gemeinsam erreichen möchte. Dieses gemeinsame Verständnis sorgt für ein Gefühl des Dazugehören. Menschen wollen nicht alleine sein – egal ob es um Probleme oder Erfolge geht. Diese Werte sollten nicht nur leere Worte sein, sondern sie sollten gelebt werden. Sie sollten in Inhalten und Begegnungen spürbar sein. Fühlt sich eine Gemeinschaft beliebig an, ist die Gefahr groß die Mitglieder schnell zu verlieren. Erfolgreiche Gemeinschaften geben einem das Gefühl, Teil etwas Größerem zu sein.

Spannend finde ich beispielsweise die Hamburger Digitalbank Tomorrow. Sie steht für ein besseres Morgen und möchte dies erreichen, indem sie Menschen den Umgang mit Geld erklärt. Ihnen Möglichkeiten zeigt, damit Sinnvolles zu machen und nicht unbewusst Branchen zu finanzieren, die der Gesellschaft schaden. Hierzu gehen sie über Inhalte, die aufklären. Aber auch durch den Dialog auf Instagram oder in virtuellen Veranstaltungen. Das Produkt rückt im ersten Moment in den Hintergrund, die Bewegung rückt nach vorne. Sie aktiviert Menschen, die dann für die Marke und das Produkt werben. Auch Patagonia ist ein Unternehmen, dass seine Werte klar nach außen kommuniziert über Blogs, Dokumentationen oder Veranstaltungen. Alle Produkte folgen dieser Haltung. Der hierzu notwendige Aktivismus steht auf einer Ebene mit den Outdoor-Klamotten. 

GESCHICHTEN

Die beiden Beispiele zeigen ganz gut, wie Geschichten helfen die Werte einer Gemeinschaft zu festigen und sie nach außen zu kommunizieren. Sie erklären, woher eine Community kommt und weshalb es sie gibt. Und wie jede gute Geschichte, erzählt sie auch ehrlich von den Schwierigkeiten. Der Reise. Erfahrungen und Wissen wird so anfassbar. 

Schaut man sich Glaubensgemeinschaften und Religionen an, so erkennt man sehr gut den Wert von Geschichten. Sie werden von Mitgliedern weitergetragen und sorgen so für eine Vernetzung untereinander. Auch unabhängige Medienmarken wie Rocket Beans zeigen die Wichtigkeit von Geschichten: Vom Beginn mit GIGA, dem Ende bei MTV und dem Moment, alles selbst zu machen. Bis heute wächst diese Gemeinschaft, deren Geschichte durch die Protagonisten aber auch Fans erzählt werden. In den Sendungen, bei Veranstaltungen, Gemeinschafts-Projekten oder im Forum – im Jahr 2019 kamen 24% der Sender-Umsätze aus Community-Einnahmen. Die Mitglieder vereint, dass viele von Anfang dabei waren. Und einen Teil der Geschichte begleitet haben. 

NÄHE

Diese Nähe zu den Mitgliedern hilft ihre Wünsche und Sorgen zu verstehen. Zuhören und Angebote schaffen (“Test and Iterate”) wird so deutlich einfacher. Mit persönlichen Werten ist relativ klar, dass “Alle” keine Zielgruppe mehr sein kann. Vielmehr vereint man sich mit Gleichgesinnten um sie nach ihren Erfahrungen zu fragen: Warum möchten sie ein Teil sein? In welchen Momenten brauchen sie Gemeinschaft? Und welche Herausforderungen beschäftigen sie? Dieses Wissen kann helfen, um passende Inhalte und Angebote zu schaffen. Und dies kann auch bedeuten, Menschen miteinander zu vernetzen.

Medienmarken können bzw. müssen also lernen, dass sie vielleicht gar nicht immer diejenigen sind, die ein Problem lösen oder erklären. Ihre Inhalte sind in einer Gemeinschaft nicht immer das Zentrum, viel mehr aber das Moderieren und Kuratieren. So vernetzt die ZEIT über das Programm “Freunde der Zeit” ihre Abonnentinnen und Abonnenten auf Veranstaltungen oder über Interessen-Newsletter. Bei Z2X sind es junge Visionärinnen und Visionäre, indem die ZEIT Fragen an die Mitglieder stellt. Sie so auf den Veranstaltungen per Blind-Date zusammenbringt. Oder Bühnen baut, auf denen Teilnehmerinnen und Teilnehmer Ideen präsentieren können – Z2X sorgt dann für die Verbreitung oder Vernetzung mit anderen Menschen. Oder Angebote wie das Social Media Watchblog bietet seinen Abonnentinnen und Abonnenten einen geschützten Slack-Channel an, wo ein Dialog mit den Autorinnen und Autoren entsteht. Es können Themen vorgestellt und so mit Wissen innerhalb der Gemeinschaft geglänzt werden. 

GESCHÜTZTE RÄUME

Ein Wunsch nach Austausch und Nähe bedeutet gleichzeitig auch ein Bedürfnis nach Ehrlichkeit. Hierfür braucht es geschützte Räume und Regeln, an die man sich hält. Es braucht eine Art Gatekeeper – sei es in Form einer Bewerbung und/oder einer Paywall. Nicht, um stumpf auszusortieren, sondern um den Antrieb einer Person zu verstehen, bevor sie einer Gemeinschaft beitritt. Dies widerspricht dem Reichweiten-Gedanken, ist aber zentral um wertvolle Gemeinschaften aufzubauen. Und im zweiten Schritt passende Partner zu identifizieren, die mit genau dieser Zielgruppe interagieren möchte. Die Räume sind Orte, zu denen man jederzeit kommen kann – vergleichbar mit einem Tempel. Oder einem Fitnessstudio. Man geht davon aus, dort Gleichgesinnte zu treffen. 

So sehen wir bei brand eins Safari den Wert dieser Zusammengehörigkeit. Wir stellen händisch Peergroups mit maximal zehn Menschen zusammen, die über ein Jahr hinweg an ihren persönlichen Herausforderungen arbeiten. Es gibt vier lokale Treffen im brand eins Freiraum, bei denen Impulse durch Dinnergespräche gesetzt und konkrete Übungen mit professionellen Beratern durchlebt werden. Zwischen den Treffen gibt es Aufgaben und Impulse. Das Vertrauen der Gruppe führt dazu, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hinterfragen und gemeinsam weiterentwickeln. Im Digitalen erlauben Dienste wie Patreon und Steady Inhalte einer geschlossenen (zahlenden) Gemeinschaft bereitzustellen. Anbieter wie Slack, Tribes, Circle, onlyfams oder Discord erlauben es den Mitgliedern in einen Austausch zu kommen. Ein Newsletter oder Podcast ist kein Raum, aber er kann der Anstoß für Dialoge an einer anderen Stelle sein. So versendet Ben Thompson seinen Newsletter Stratechery an Menschen, die sich für digitale Produkte interessieren – die angeschlossene Community erlaubt den Austausch. Thompson spricht mit und greift Impulse in kommenden Ausgaben auf. So wird man Teil des Prozesses. Fühlt sich gehört.

RINGE

Wie in jedem sozialen Gefüge gibt es immer unterschiedliche Grade der Teilnahme an einer Unternehmung. Manche wollen zuhören und melden sich in Einzelfällen. Andere wollen mitgestalten. Eine erfolgreiche Gemeinschaft hat eine Auswahl an Ringen, in denen sich die Mitglieder bewegen. Sie sollen nicht aus Gründen der Exklusivität da sein, sondern aktiven Mitgliedern eine Form der Bestätigung geben und sie näher an die Marke bringen. Wichtig ist, dass die Ringe transparent sind – hilft und stärkt man die Gemeinschaft, so sollen das andere erkennen. Noch wichtiger ist die Aufnahme in den ersten Ring: Die Einführung. Fühlt man sich nicht zugehörig (“Crisis of Belonging”), so braucht es mehr Begegnungen. Mehr Interesse, das über Rituale erzeugt wird.

Tritt man der Krautreporter-Gemeinschaft bei, so wird man persönlich durch das Angebot geführt. Im wöchentlichen Newsletter wird jedes neue Mitglied namentlich erwähnt. Und über Facebook-Gruppen oder Discord-Räume kann man schnell Gleichgesinnte finden und auf Augenhöhe mit der Redaktion sprechen. Außerdem wird über Interviews und Umfragen regelmäßig die Nähe zwischen den Ringen (Redakteur:in und Leser:in) gesucht. Auch Plattformen wie Twitch schaffen Nähe, da Fans in Echtzeit einer Medienmarke zuschauen können. Die integrierte Abo-Funktion erlaubt es zudem verschiedene Ringe zu etablieren – so können zahlende Fans miteinander chatten oder erhalten weitere Vorteile, wenn sie aktiv mitwirken und zu Moderatoren ernannt werden. So entsteht Zugehörigkeit durch Beteiligung. 

RITUALE 

Am Ende ist es ähnlich wie in der Familie und im Freundeskreis: Um ein Gefühl der Verbindung zu stärken, braucht es gemeinsame Momente. Diese sollten Sinn stiften, also fehlen, wenn es sie nicht mehr geben würde. Es können große Veranstaltungen oder kleine Begegnungen sein – solange sie ein Gefühl von Vertrauen erzeugen. Dies braucht Moderation. Geschichten, welche die Werte aufgreifen. Sie sollten in geschützten Räumen geschehen und die unterschiedlichen Ringe zusammenbringen. So lernt man voneinander. Erhält einen Einblick in die Erfolge und Herausforderungen einer Gemeinschaft.

Auf den Veranstaltungen von 12min.me erlebt man diese Nähe. Oft kennen sich die Besucherinnen und Besucher von anderen Veranstaltungen. Diese geschehen in über 30 Städten und vereinen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründe aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik. Der Aufbau und Ablauf ist immer gleich – so entsteht ein Gefühl der Vertrautheit. Moderatoren sind direkt an ihren Shirts erkennbar und jederzeit greifbar. Sie wären auch der erste Ansprechpartner, um selbst auf die Bühne zu kommen (und den nächsten Ring zu betreten). Und alle Menschen sind wegen einer Sache da: Sie wollen etwas Neues lernen. Diese Neugierde vereint sie.

Wo ich gerade stehe – ein Zwischenfazit

Je länger ich mich mit Gemeinschaften beschäftige, desto spannender finde ich sie für Medienmarken. Sie zwingen die Haltung einer Marke nach außen zu tragen. Die gemeinsamen Werte über Geschichten und kuratiertes Wissen zu erzählen – der Kernkompetenz eines Medienunternehmens. Im besten Fall identifizieren sich Menschen mit dieser Haltung. Wollen dazugehören und beitragen. Ihr Netzwerk einbringen, das sonst nur einzelnen zugänglich war. Menschen suchen die Gemeinschaft, weil sie wachsen wollen. Sie wollen Dinge verstehen, am besten im Austausch. 

Was wäre, wenn Medienmarken diese Räume aufmachen? Und Menschen nicht nur unterhalten, sondern zusammen (voran) bringen?


Spannende Communities: 1E9, t3n Pioneers Network, Social Media Watchblog, Farnam Street, Vogue Business, Rolling Stone Culture Council, Freunde der ZEIT, thefutur, foundr, Product Hunt, Trends by The Hustle, Indie Hackers, NYT Cooking, ZEIT Z2X, Craig Mod Special Projects.

Bücher und Guides: The Art of Community, Buzzing Communities, the membership guide, the membership puzzle project, JMR’s Participatory Journalism Playbook, Community Canvas, dpr Reader Communities.

Weitere Empfehlungen und Gedanken? Gerne in die Kommentare 👇