Ich war noch nie ein Morgenmensch. Bin lieber bis in die Nacht wach. Lichter in Altbauwohnungen. Kopfhörer auf. Mich in Themen graben und irgendwann ins Bett kriechen. In den letzten 1,5 Jahren hat sich das leider verändert. Denn ich werde regelmäßig zwischen 4 und 5 Uhr wach. Liege dann (mit viel zu wenig Schlaf) hellwach im Bett. Schaue an die Decke. Werde irgendwann genervt von der Situation und stehe auf.
Das war lange Zeit in Ordnung. Schob es auf Stress in der Arbeit. Oder eine spannende Idee, die mich beschäftigt. Redete es mir positiv. Irgendwann blickten mich morgens aber nicht nur große Augenringe im Spiegel an, sondern eine kleine kahle Stelle im Haar. Ich schenkte dem Ganzen nicht viel Beachtung. Wird schon wieder. Wurde es aber nicht. Die Stelle wurde größer. Eine zweite Stelle kam dazu. Immer mehr Haare verschwanden. Mittlerweile habe ich eine faustgroße Lücke, die ich nicht mehr verbergen kann. Diagnose: Alopecia Areata. Eine Autoimmunkrankheit. Der eigene Körper fängt an gegen sich selbst vorzugehen.
Allein diese Vorstellung macht mir zu Schaffen. Ja, es sind auch die fehlenden Haare. Der Blick in den Spiegel. Und die Blicke der anderen Menschen. Finger, die auf mich zeigen. Ein Gefühl, das ich so nicht kannte. Ich fühle mich unwohl in meiner eigenen Haut. Bis jetzt konnte man gegen Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper immer etwas tun. Jetzt sagt jeder Arzt das Gleiche: „Sie müssen abwarten“. Schwerelosigkeit. Scham.
Mir nahe Menschen fangen mich auf. Geben mir ein gutes Gefühl. Was bleibt, ist aber das bröckelnde Selbstwertgefühl. Hab ich es mit der Arbeit übertrieben? Schenke ich mir zu wenig Aufmerksamkeit? Achte ich zu wenig auf mich und meinen Körper? Am Ende wird es eine Mischung sein. Genau deshalb beschäftige ich mich gerade sehr viel mit mir und der Traditionellen Chinesischen Medizin. Suche nach Wegen, wie ich wieder ins Gleichgewicht komme. Ernährung, Bewegung, Achtsamkeit.
Vielleicht viel zu lange ignoriert oder zu skeptisch gewesen. Meinen Fokus auf das außen gelenkt. Nach Bestätigung von anderen gesucht, dabei aber meine Bedürfnisse aus dem Blick verloren. Die kleinen Warnzeichen ignoriert. Nun bimmelt der ganze Körper. 🚨
Warum ich das hier öffentlich teile? Weil es auch zu mir gehört. Und weil es vielleicht viel zu lange versteckt wurde. Unsicherheit. Der Vergleich mit anderen und daraus resultierender Druck. Daraus entstehen nicht nur „beeindruckende Lebensläufe“ sondern auch Belastungen. Krankheiten. Darüber reden und diese Einblicke zu teilen – das scheint ein guter Weg. Für mich.
Passt auf euch auf. Hört euch zu. Schenkt euch Zeit. Ich war darin nie wirklich gut. Und muss es nun lernen. Schritt für Schritt. 🤗
Felix W. sagt:
Hi Andreas,
bei einem Freund von mir war es ähnlich. Er hatte einen Darmpilz, der das Ganze verursacht hatte. Er ging danach zu einem Heilpraktiker, der ihm dann helfen konnte.
Liebe Grüße von einem früheren Klassenkameraden
Felix W.
8. August 2021 — 14:50
andreasspiegler sagt:
Danke Felix! Probiere es nun auch über diesen Weg. Liebe Grüße in den Süden 🙂
8. August 2021 — 15:48
Sandra sagt:
Lieber Andreas!
Vielleicht erinnerst du dich, dass auch mich eine Autoimmunkrankheit begleitet. Bei mir waren es nicht die Haare, aber Gefühlsstörungen in der gesamten linken Seite.
Was mir sehr geholfen hat, sind Informationen, die Krankheit verstehen und der Austausch mit anderen.
Wie du schreibst ist Achtsamkeit sehr wertvoll. Akzeptiere die Krankheit und deinen Körper, nimm dir Zeit und Ruhe für dich. Ich arbeite immer noch daran, das Gleichgewicht zwischen stressiger Arbeit und meiner Me-Time zu finden. Das kann zäh sein und dauern, man rutscht immer wieder in ein altes Verhaltensschema ab… Wichtig ist, dass man immer wieder neu anfängt, wenn man diese Balance verloren hat.
Ich wünsche dir alles Gute damit!
Auch wenn wir lange keinen Kontakt hatten und auch wenn es nicht die gleiche Krankheit ist: Wenn du dich mal unterhalten oder austauschen willst, jederzeit einfach melden.
Liebe Grüße aus Stuttgart,
Sandra W.
8. August 2021 — 16:11
andreasspiegler sagt:
Du hast Recht! Der Austausch dazu tut verdammt gut. Und auch das Annehmen. Ist ja schließlich ein Zeichen, auf das man reagieren kann. Ich merke, dass ich die ganzen Jahre davor nur selten auf mich gehört habe. Viel mehr aber auf das Außen. Was erwartet wurde. Oder der Vergleich mit anderen. Jetzt gilt es die Balance zu finden. Schön, wieder von dir zu hören 🙂 Und ganz liebe Grüße nach Stuttgart 🙌
8. August 2021 — 18:16
Bastian sagt:
Hey Andreas, bei mir wurde letztes Jahr durch eine Magenspiegelung, auch eine Autoimmunkrankheit festgestellt. Die lässt mein Äußeres nicht verändern, aber wie bei dir, war es für mich auch ein wakeup-call. I can relate und ich finde es super, wie du da jetzt in die Offensive gehst und dich dem Thema stellst.
Meinen Respekt für diese Reflektion hast du!
VG
Basti
8. August 2021 — 16:29
andreasspiegler sagt:
Dankeschön 🙏 Auch für deine Offenheit. Irgendwie auch gut, dass der Körper irgendwann mehr als nur die Hand hebt.
8. August 2021 — 18:17