Blog

City Blues

Und dann stehst du am Elbufer. Unter deinen Füßen der Sand. Neben dir kleine Kinder, die fangen spielen. Ihre Eltern mit kaltem Bier verwickelt in lauten Gesprächen, während sich vor dir die Queen Mary 2 aus dem Hafen zwängt. Begleitet von knapp 100 Schiffen, welche die Szene noch beeindruckender gestalten. Hinter mir grillen Freunde und Unbekannte. Ein Grinsen liegt in meinem Gesicht. Zwei Jahre Hamburg…

Heute bin ich über einen wunderschönen Blogbeitrag gestolpert. Er erzählt über die Liebe zu dieser Stadt an der Elbe. Von Straßen, in denen ich mich rumtreibe. Vom Wind, der mir dabei ins Gesicht schlägt. Und vom Wasser, das hier überall zu finden ist. Einen Ruhepol bildet. Für gehetzte Menschen wie mich. Nach drei Jahren Leben und Lieben in Stuttgart trieb es mich hierher. Ein Neubeginn sollte es werden. Ist es geworden. Erinnere mich an die erste Nacht in der neuen Wohnung. Ohne Licht. Ohne Handtücher. Doch mit klopfendem Herzen.

Der Wind peitscht. Kragen hoch. Kopf runter. Tunnelblick.

Seitdem genieße ich die Vielfalt. Gemütliche Cafes und schroffe Kneipen. Ein trockener Humor. Ehrliche Menschen. Neue Gesichter. Lange Nächte. Spaziergänge an der Elbe. Möven über meinem Kopf. Und zuviel Regen. Hab Menschen in mein Herz geschlossen, dort umarmt und wieder gehen lassen müssen. Sinnlose Gespräche in U-Bahnen geführt, dort geschlafen und Geschichten in Polsterritzen versteckt. Jeder meiner Schuhe beherbergt einen kleinen Strand für den Notfall. Und reichte dieser einmal nicht aus, flüchtete ich mit Lieblingsmenschen ans Meer. Ließ Drachen steigen. Robben tanzen.

Manchmal war ich kurz davor meine Höhle abzureißen und wieder in den Süden zu gehen. Manchmal vermisse ich die Berge und die Heimat. Manchmal den Kessel und das Essen. Aber dann stehst du im Morgengrauen an den Ladungsbrücken. In deiner Hand dein letztes Getränk. Müde setzt du dich ans Ufer und schaust auf die vielen kleinen Boote. Alles grau-blau. Ich werde noch eine Weile hier verweilen. Mich treiben lassen. Mit den Beginnern in den Ohren.

Das Herz am rechten Fleck, die Füße in Gummistiefeln.

Silver Linings

Ich mag Menschen mit Macken. Die irgendwie aus der Reihe fallen, weil sie ehrlich zu sich sind. Ehrlich gegenüber anderen Menschen. Und auch ehrlich gegenüber ihrer eigenen Wechselhaftigkeit. Menschen, die an große Gefühle und kleine Gesten glauben. Laut über ihre Ängste, ihre Stärken oder ihre Träume sprechen. Ich fühle mich zu ihnen hingezogen, egal wie chaotisch und stressig die Auseinandersetzungen sein können.

Ähnlich ist es bei Pat, der als Mittdreißiger wieder bei seinen Eltern einzieht. Er hat einen Aufenthalt in einer Nervenanstalt hinter sich gebracht, Hoffnungen verworfen und möchte nun sein Leben auf die Reihe bekommen. Eines Tages lernt er Tiffany kennen, die ebenfalls einige Kratzer und Macken mit sich trägt. Ihr Mann ist verstorben, weshalb sie ordentlich ins Straucheln gekommen ist. Sie schläft mit jedem aus ihrem Umfeld. Pat schläft mit niemandem. Er will seine Exfreundin zurück und Tiffany bietet ihre Hilfe an, wenn er im Gegenzug mit ihr bei einem Tanzwettbewerb teilnimmt. Und so gehen die beiden ein Stück zusammen.

Silver Linings ist – genau wie mein Lieblingsfilm Garden State – eine wunderschöne Erzählung über schmerzende Kanten. Sie zeigt Konflikte und Gefühlskämpfe, die jeder in einer ähnlichen Form bestritten hat. Ängste, die jeder mit sich führt. Und ein Wunsch nach Verständnis und Nähe, der in uns schlummert. Immer wieder aufgeweckt wird und bei Laune gehalten werden möchte. Vielleicht an manchen Stellen etwas kitschig, an anderen etwas verträumt. Trotzdem sehenswert.

Es ist verdammt eng hier.

Es ist verdammt eng hier. Schweiß an meinen Armen. Fühle mich unwohl. Die Dunkelheit hat jeden meiner Gedanken fest im Griff. Sie zappeln nervös und schlagen um sich. Ängste. Will dich nicht verlieren an diese Masse. Wie Schlamm verschlingt sie uns. Hat den Kopf geflutet und bahnt sich ihren Weg in Richtung Herz. Meine Arme sind zu schwach. Sind zu kurz, um mich irgendwo festhalten zu können. Um dich festzuhalten. Spüre deine Finger nicht mehr und versinke im Grau. Atemnot. Der Druck steigt und meine Hoffnung fällt in sich zusammen. Wie der Traum von ewiger Liebe, sobald der andere anfängt sich umzudrehen. 

Es ist verdammt eng hier. Zig Stimmen liegen übereinander. Machen es schwer, wieder zum Boden zu gelangen. Mehrere Meter hoch sind die Versprechen. Sind die lieben Worte, die du gesammelt hast. Keine Berührung verneint und keinem Blick entsagt. Zu groß war dieses Verlangen in dir gebraucht zu werden. Geliebt zu werden. Nun wirst du all diese Momente immer bei dir tragen. Sie werden sich einmischen. Zu jeder Zeit. In jeder Situation. Bei jedem persönlichen Gespräch werden sie mithören. Werden urteilen und kritisieren. Kannst nicht mehr tun, als es über dich ergehen zu lassen. Denn du wolltest sie bei dir haben. Du wolltest irgendwas bei dir haben. Ein paar Farben und eine Melodie. Noten, die Erinnerungen in die Ferne drängen. 

Es ist verdammt eng hier. Wir hängen aufeinander, denn das Wir wurde unzertrennlich. Verkeilte sich. Du wolltest einen Schritt zurücktreten und die Situation verstehen. Wie es dazu kam und warum es dort bleibt. Ich schloss die Augen und sprengte uns entzwei. Rannte durch deine Zimmer und schmiss alles um. Riss die Bilder von der Wand und dein Lächeln aus deinem Gesicht. Mundtot schautest du mir in die Augen, die voller Wut waren. Voller Enttäuschung und Selbsthass. Und alles was du tust, tust du für mich. Der Moment vor dem Aufschlag. Der Moment vor dem letzten Kuss. Alles in Zeitlupe. Man weiß genau, was passiert. Und trotzdem passiert es nicht, denn plötzlich ist da etwas. Sind da welche. Ganz viele. Finden den Weg in deine kleine Welt. Machen sich breit und ich bleibe zurück. 

Ich warte immer noch auf den Aufschlag. Ein Schlag so fest, dass er mich zur Vernunft bringen mag. Mich zurück zu mir selbst führt. Aber das passiert nicht, solange ich hier bin. Solange ich bewegungsunfähig bin. Blind nach einem Ausgang taste. Möchte nach Hilfe rufen. Doch bleibe Stumm. Der richtige Satz mag mir nicht einfallen. Zu viele andere Sätze im Weg. Leblos liegen sie in mir. Blähen mich auf. Geben keinem Satz die Chance, an Bedeutung zu gewinnen. Es ist verdammt eng hier. 

Ich warte immer noch auf den letzten Kuss. Noch einmal dieses Kribbeln im Magen. Auf der Nasenspitze. Dein Atem an meinem Hals und meine Hände in deinen Haaren. Möchte dich zu mir ziehen, doch bekomme dich nicht zu greifen. Es scheint, als würdest du davon treiben. Jede Welle macht es schwieriger. Durch jede Gefühlsänderung werden es ein paar Zentimeter mehr. Ein kalter Raum zwischen uns. Er wird unüberwindbar. Ich höre auf zu strampeln, blicke dir hinterher und schweige. Denn manchmal lässt man es vielleicht lieber sein. 

Es ist verdammt eng hier.
In deinem Herzen.

Invasion der Spielkinder

Ich stolpere immer wieder über Artikel, die sich mit der Entwicklung des männlichen Geschlechts in unserer Gesellschaft auseinandersetzen. Männer werden zu Loser. So versucht jedenfalls ein Artikel in der Süddeutsche Zeitung erneut Aufmerksamkeit zu erlangen. Immer mehr Männer sollen laut Studien alleine leben. Sie heiraten seltener und versacken bei ihren Eltern. Daraus schließt der Gastautor, dass mein Geschlecht sich vor der Zukunft fürchtet und Beziehungen meidet. Die Industrie bemerkt natürlich diesen Trend und so werden immer mehr Frauen eingestellt. Weil sie stärker sind. Zielstrebiger. Die Arbeitslosigkeit der Männer wächst. Vorwiegend in Großstädten. Und das soll uns verunsichern. Der Mann sitzt weinend in der Dusche. Laut Artikel haben wir Angst vor der Zukunft, da wir sie nicht lenken werden. Die Frauen tun das. Das schüchtert uns ein. 

Was denke ich dazu? Ich werde nicht anfangen Statistiken zu hinterfragen. Auch werde ich keine historischen Beobachtungen auswerten oder Meinungen von Soziologen studieren. Ich werd ein paar Zeilen schreiben, wie ich Artefakte des Artikels in meinem Alltag beobachte. So bin ich selbst relativ früh ausgezogen. Zum Studieren in die nahegelegene Großstadt. Seit zwei Jahren wohne ich am anderen Ende Deutschlands. In Hamburg, wo ich alleine lebe. Ich mag das. Genieße den Freiraum und die Möglichkeit, auf mich gestellt zu sein. Mehr über mich zu lernen. Ich glaube es ist verdammt wichtig, Zeit und Raum für sich zu haben. Über den Alltag nachdenken zu können und vielleicht auch bewusst durch Phasen zu gehen, in denen es einem scheiße geht. Um mich herum führen Menschen Beziehungen. Beenden sie wieder. Gefühlt passiert das relativ oft, aber ich denke nicht, dass eine Bindungsangst daran Schuld ist. Wir haben gelernt, unser Leben zu gestalten. Uns wurde eingetrichtert, dass wir alles in der Hand haben. Das führte in meinen Augen dazu, dass wir auch höhere Ansprüche entwickelt haben. Ich selbst habe in den letzten Monaten bei mir beobachtet, dass man beginnt sich selbst  stärker zu hinterfragen. Verhaltensweisen, Wünsche und Eigenarten auf die Probe zu stellen. Und natürlich auch, was man sich von einer Beziehung erwünscht. Im Kontrast zum Artikel scheiterte aber keine meiner (entstehenden) Beziehungen daran, dass ich Angst vor dem weiblichen Geschlecht bekommen habe. 

Ich selbst finde es toll, dass Frauen erfolgreich sind. Hohe Positionen anstreben oder sich politisch/wissenschaftlich/gesellschaftlich engagieren. Wünscht man sich nicht jemanden an seiner Seite, der eine Leidenschaft hat? Und jemanden, mit dem man über diverse Themen sprechen kann? Sei es die Karriere oder die Familie. Wenn beide Partner ähnliche Träume haben, dann schreckt doch eine solche Entwicklung der Frau nicht ab. Ist viel mehr begrüßenswert. 

Was ich eher glaube, ist dass Männer seit mehreren Jahren begonnen haben, ihre Rolle zu hinterfragen. Man sieht, dass Frauen sich verändern. Neue Wege gehen. Und das wollen wir auch. Manche jedenfalls. Dadurch entsteht natürlich eine Art Stillstand, denn man muss sich Zeit nehmen zu reflektieren. Man will Dinge ausprobieren. Ich will Dinge ausprobieren. Will Texte schreiben, dann kochen, dann den ganzen Tag auf dem Sofa liegen und am nächsten Tag einen Baum pflanzen. Autos auseinandernehmen und Karriere machen. Und genau dieser Prozess sorgt dafür, dass “wir Männer” auch mal alleine leben. Uns zurückziehen. Die Karriere aus den Augen verlieren und lieber malend in Berlin versacken. 

Die Geschlechterrollen bewegen sich ständig. Teilweise heftig. Dann wieder minimal. Wir lernen voneinander und probieren uns aus. Was soll daran falsch sein? Ist die Tatsache, dass Männer bei ihren Eltern wohnen ein größeres Warnsignal als der Geschäftsmann, der fünf Tage die Woche in Hotels lebt, sich an der Bar Wein und Frauen bestellt und irgendwann ausgebrannt kündigt? Wir alle werden überflutet von Möglichkeiten. Das überfordert uns. Die einen mehr. Die anderen weniger. Und ja, manchmal ist man als Mann verunsichert, wo die Reise hingeht. Aber so geht es jedem irgendwann auf seiner Reise. Heute sprechen wir nur etwas offener darüber. Wenn auch nicht offen genug, sonst würde der Autor Walter Hollstein nicht von der Invasion der Loser, sondern der Invasion der Spielkinder sprechen. Denn jeder bastelt an seiner kleinen Sandburg. Ob Männlein oder Weiblein. 

Kathrinchen

Es war unser Schicksal, unser Leben zu zweit zu leben und zu genießen. Und ich fand, dass es ein sehr schönes Schicksal war. Und ich bin für mich und vor allen Dingen für dich traurig, dass diese Jahre nun vorüber sind.

Plötzlich verlierst du den Menschen an deiner Seite. Musst alleine die Haustür aufschließen. Das Licht löschen. Da ist niemand, der dir eine gute Nacht wünscht. Dir nochmal über die Wange streicht. Und morgens den Rolladen nach oben zieht. Peter war über 50 Jahre mit seiner Frau verheiratet. Kathrinchen. Und dann muss er gehen. 

Die Süddeutsche Zeitung hat Kathrinchen (eigentlich Grete) getroffen und in einem wunderschönen Artikel zurückgeblickt. Auf das gemeinsame Kennenlernen. Flucht. Auswanderung. Krankheit. Bevor Peter starb, nahm er zwei CDs auf. Sprach über seine Liebe zu Kathrinchen. Darüber wie Leid es ihm tut, sie alleine zurückzulassen. Er hinterließ so seine Spuren. Und ich glitt über die Zeilen. Stolperte und weinte. Nicht nur wegen der Geschichte, sondern eigentlich der Tatsache, wie zerbrechlich alles ist. Und wie man dennoch so selten das Gegebene akzeptiert. Einfach annimmt, was das Leben bringt. 

Ich selbst strebe immer wieder nach Besserem. Möchte Dinge optimieren. Und vergesse dabei so oft, was ich eigentlich habe. Und wie schön es auch sein kann, bestimmte Dinge nicht zu haben. Weil sie irgendwann kommen. Oder weil man sie gar nicht braucht. Das mag alles neunmalklug klingen, aber das ist mir egal. Es sind Gedanken, die mir durch den Kopf gehen. Die ich teilen mag. Und weil ich den Artikel so schön fand.