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Einfach mal positiv sein

Sich auf die schönen Dinge im Leben konzentrieren. Die Arbeit bleibt Arbeit, während man sich fair gehandelten Kaffee kocht und auf dem Balkon den zwanzigsten Lebensratgeber liest. Meterlange ToDo-Listen mit guten Vorsätzen. Aber alles ganz easy. Mehr frische Lust. Mehr Sport. Mehr Meer. Weniger Leistungsdruck und noch weniger Klamotten im Schrank. Minimal. Slow Life. Nur keinen Stress – und falls dieser doch zu groß wird, gibt es Forrest Yoga oder Kloster auf Zeit.

Zwischen den naturgrauen Design-Seiten von Flow und Slow wird der Müßiggang vorzeigbar und gesellschaftsfähig. Dazu kommt ein Inhalt, der die menschliche Bedürfnispyramide treppauf, treppab mit Notwendigkeiten speist. Wir lernen, dass Scheitern okay ist. Dass ziemlich viele kluge Köpfe vielseitig zitierbare Kommentare zur Entschleunigung gegeben haben, und dass diese in Schreibmaschinenschrift gut zur Geltung kommen. 

Momentan übernehmen Mindstyle-Magazine die Buchstabenmärkte an Bahn- und Flughäfen. Schicke Typographie, motivierende Beispiele aus dem echten Leben und eine Liste an ergänzenden Büchern, Veranstaltungen, Filmen, Kursen, Aktivitäten. Mit jeder Ausgabe bekommt man das Gefühl, dass es doch nicht so schwer sein kann. Beginnt zu grübeln, macht sich Vorwürfe für seine eigene Unfähigkeit und schreibt dann die fünfte Version einer Liste an Vorsätzen. Diesmal schaffe ich es. Diesmal mache ich alles anders. Nur um zwei Monate später die neue Ausgabe in den Händen zu halten. Mit neuen Ratschlägen, die doch alle das Gleiche sagen. 

Schlussendlich folgt man wieder der Meinung anderer Menschen. Personal Trainer kriechen aus allen Ecken. Teilen ihre Erfahrungen und wir hoffen es ihnen gleich machen zu können. Imitieren sie. Setzen uns unter Druck, sobald wir nach 4 Tagen keine Resultate sehen. Aber das ist ja in Ordnung. Scheitern ist in Ordnung. Fehler sind in Ordnung. Solange du auch die nächste Ausgabe kaufst. Los! Mach! Sonst wird sich nie etwas ändern!

Aufstehen

Den Kapuzenpullover bis zum Kinn hochziehen. Musik viel zu laut und ohne Orientierung durch die Straßen stolpern. Suchender Blick an Häuservorsprüngen. Kleine Momente. Große Gefühle. Diese Stadt bringt mich erneut ins Taumeln. Deswegen setze ich mich mit Stift und Papier in den Park. Schreibe alles auf. Jeden noch so kleinen Gedanken, der es nicht rechtzeitig zu Verschwinden geschafft.

Tief durchatmen. Aufstehen. Weitergehen. Wie als Kind – nur ohne Pusten auf Wunden.

Der Schal.

Ein leises Summen. Die Hände im Schoß. Gefaltet. Ihr Gesicht regungslos – nur ihre Augen wandern den Bahnsteig entlang. Ihr roter Schal greift an ihrem Hals empor. Hält ihn fest. Drückt ihn. Und gibt der Kälte keine Chance. Nicht nur der Kälte – auch den Schlägen ihres Herzens. Zwängt es in ein unsichtbares Korsett und lässt es erstummen.

Nach und nach fahren Züge ein. Menschen strömen heraus. Suchen hektisch den Ausgang. Wollen raus und in alle Himmelsrichtungen entfliehen. Dieses Spiel wiederholt sich. Nur die Frau bleibt sitzen. Streicht sich ein ums andere Mal die Haare aus dem Gesicht. Sie wippt. Unscheinbar.

Wartet oft an diesem Gleis. Eigentlich jeden Tag seitdem die Blätter fallen. Ihre Taschen sind leer, doch ihr Inneres bis zur Kante gefüllt. Gefüllt mit Schmerz, Sehnsucht und Erinnerungen. Gefühle für ihn. Den sie doch schon so lange nicht mehr gesehen hat. Und unbedingt wieder sehen möchte. Ihn endlich wieder in die Arme schließen zu können. Einer ihrer leisen Träume. Doch dieser Tag kommt nicht. Dafür ging er. Lies sie alleine zurück und suchte sein Glück in der Ferne. Wollte ausbrechen und brach somit sie.

Man merkt es ihr nicht an. Denn sie ist eine starke Frau. Achtet auf ihren Körper, doch misshandelt ihre Seele. Lautsprecherdurchsagen weißen auf Verspätungen hin. Der folgende Zug hängt im Tunnel fest. Ihre Gefühle hängen im Hals fest. Weichenstörung. Personenschaden. Ihr Lächeln zerbricht. Plötzlich und unerwartet. Ihre Hände entfalten sich. Zucken träge. Sie schaut nach links. Schaut auf die hellen Buchstaben an der Decke. Die Bahn ist weiter verspätet. Der Tunnel bleibt dunkel. Sie rückt nach vorne. Ist am Rande der Bank angekommen. Ihre Hände spüren den Abgrund. Halten ihn fest. Noch.

Manchmal muss man Dinge hinter sich lassen. Muss weitergehen und darf nicht zurückblicken. Das Schwierigste ist der erste Schritt. Aufstehen und los marschieren. Den Blick nach vorne gerichtet.

Ein leises Dröhnen auf den Schienen. Es kündigt den Zug an. Licht durchflutet den Tunnel. Der Bahnhof wird vom Schreien der Wagons erfüllt. Langsam und behäbig kommen die Tonnen voll Knochen und Gefühle zum Stehen. Die Türen öffnen sich schüchtern. Und die Massen strömen aus den Abteilen.

Die Frau ist weg. Hat den Schritt gemacht. Den einen großen Schritt.

Nun ist sie am Ende der Rolltreppe angekommen. Hat die Bank hinter sich gelassen. Ihre Arme treiben sie rhythmisch nach vorne. Und ihr Herz hinterlässt eine Spur an Erinnerungen auf dem dreckigen Boden. Nur noch ihr Schal liegt leblos auf der Bank. Dort, wo er hingehört. Ihr Hals spürt die warmen Sonnenstrahlen. Und bringt ihr Lächeln zurück. Stück für Stück.

Sonnen. Bad.

Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Kinder jagen Enten und Oma schaut ihnen zu. Lässt ihren Blick übers saftige Grün wandern. Lächelnd. Und vergisst dabei, wie alleine sie doch ist. Fahrradreifen. Auf hellem Kies. Hinterlassen Spuren, aber nur für kurz. Dann werden sie verwischt. Niemand wird sich an die Abdrücke erinnern können. Ein kurzer Moment, der ewig wirkt. Die Wolken haben heute Urlaub. Liegen irgendwo anders. Aber nicht an diesem Fleck. Ich fahre mit durchs Haar. Denke über die letzten Wochen nach. Ein auf und ab. Ohne Verlässlichkeiten oder Sicherheiten. 

Der Frühling lässt uns Dinge mit anderen Augen sehen. Er mag uns immer wieder blenden, aber wenn man nicht aufpasst, übersieht man den Wandel. Ein Wandel, der unsere Umgebung mit neuen Farben anstreicht. Leuchtend. Kraftvoll. Uns einen Schubs geben möchte. Ohne Ziel. Aber mit einer gewissen Härte. Diesmal lasse ich mich gerne treiben. Wie die Blüten auf der Bank neben mir. Loslassen. Zulassen.