Andreas Spiegler

Schreiben. Stolpern. Schluckauf.

Archive (Seite 2 von 65)

Fragmente 📚 Oktober 2022

So eine Auszeit fühlt sich verdammt ungewohnt an. Muss lernen, in den Tag hinein zu leben. Ohne To-Do-Listen und Status-Calls. Dafür mit ziellosen Spaziergängen, Büchern und Mittagsschlaf. Vergesse die Zeit um mich herum und suche nach Dingen, die ich ganz aus Vergnügen machen möchte: „aus Lust an der Freude“. Gar nicht so einfach, da ich mich sonst oft an Ergebnissen messe. Sport, um fit zu bleiben. Lesen, um mitzureden. Oder Fotografieren, um Aktivitäten zu demonstrieren.

Und so probiere ich mich aus. Wie ein Kind, das durch den Tag taumelt.


Zum ersten Mal stolperte ich durch Asien. Seoul war eine spontane Entscheidung – getroffen bei Bibimbap in der Altstadt. Wurde von Eindrücken überschwemmt. Teilweise bekannt aus asiatischen Filmen und Serien. Und teilweise sehr unerwartet. Unfassbar viele Menschen, die doch respektvoll und geordnet durch die Straßenschluchten und U-Bahn-Gänge marschierten. Den Blick aufs Smartphone oder in die Leere gerichtet. Eine ungewohnte Stille und Sauberkeit. Selfie-Studios und Tarot. Irgendwo zwischen Tempeln und Wolkenkratzer. Diese Stadt wächst ungebremst in alle Richtungen. Und zwischendurch fragt man sich, ob das alles vielleicht auf Kosten der Menschen passiert, die wie Zombis zur Arbeit pendeln. 🧟

Viel zu oft Fleisch gegessen. Und teilweise keinen Bissen runterbekommen, weil es einfach zu scharf war. Dafür aber auch tolle Ramen im Hinterhof entdeckt und an einer traditionellen Teezeremonie teilgenommen. Über Märkte gebummelt und durch Spielhallen geirrt.

Auf der Vulkaninsel Jeju den Spätsommer überschätzt und eine Corona-Erkrankung unterschätzt. Viel Zeit im Bett verbracht, auf das Meer geschaut und nach einem ordentlichen Frühstück gesucht. So sehr ich den Kulturclash genossen hab, so fremd kam ich mir teilweise vor: Das ungewohnte Gefühl ignoriert zu werden und nicht dazu zu gehören. Sei es wegen der Sprache oder meinem Aussehen. Eine Tatsache, die wiederum für andere Menschen zur Normalität gehört. Rollentausch am anderen Ende der Welt. 🇰🇷


Vielleicht merkt man es beim Lesen meiner Blogbeiträge: Schreiben ist ein wertvolles Ventil für mich. Es hilft, mir zu verstehen, was in mir vorgeht. Was mich berührt. Dann sind meine Sätze wie ein Schatten – sie zeigen mir meine eigenen Grenzen auf und schenken mir ein Versteck.

Und mit jedem Schritt sammelst du neue Steine. Glatt. Schräg. Spitz. Hinterlassen ihre Spuren, wie du deine. Stimmen im Hintergrund. Dein Blick sucht Halt in bekannten Kannten, während rotes Licht dein Herz flutet.

Ich habe meine Beobachtungen lange auf Tumblr geteilt. Habe aus diesen Satzstücken ganze Geschichten gebaut. Jene nannte ich Einweggedanken. Gefühle in Schockstarre, die sich vielleicht morgen ganz anders anfühlen.

Lese ich heute in den Texten, so erinnern sie mich an ein sehr emotionales Kapitel – irgendwo zwischen Stuttgart und Hamburg.

So sehr ich dieses Kapitel brauchte, so oft dachte ich über einen richtigen Abschluss nach. Ein Buch, das ich ein für alle mal ins Regal stellen kann.

Cover

Und das ist es geworden: ein Taschenbuch 🥳 Meine Lieblingsgeschichten und ein paar Satzfetzen, die am Ende übrig bleiben.

Bestellbar beim tredition Verlag oder im Buchhandel.
Sowie bei Thalia, Hugendubel, Stories oder Amazon.

Alle Autoreneinnahmen werden vollständig an die Stiftung Deutsche Depressionshilfe gespendet. Danke Seda, Nadine und Johannes für eure Hilfe bei der Umsetzung. ✌️


Wer schreibt oder zeichnet, kennt vielleicht die Angst vor dem weißen Papier. Der leeren Arbeitsfläche. Ich beschäftige mich momentan immer wieder mit KI-Content-Generatoren wie copy.ai, DALL-E oder Stable Diffusion. Und täglich erscheinen neue Modelle, die auf Basis von neuronalen Netzwerken kreative Aufgaben meistern sollen. So können Texte, Bilder oder Musik generiert werden – z.B. durch die Eingabe einer Aufforderung und die Anpassung verschiedener Parameter.

Wo man jetzt das Ende von Kreativberufen prophezeien könnte, sehe ich eine Möglichkeit der Inspiration. Die Tools erlauben es, in kurzer Zeit Ideen zu generieren und sich daran auszutoben. Tools wie Lex versprechen Unterstützung beim Schreiben und Brainstorming. Ich finde das sehr aufregend – vor Allem weil die Technologie in so vielen Bereichen genutzt werden könnte. (Hörtipp: Richard Socher, was denken Maschinen?)

AI Application Landscape by @sequoia

Mit der Veröffentlichung von Stable Diffusion ging man sogar einen Schritt weiter, denn die Anwendung ist einfach zu bedienen und Open Source. So kann jeder nachvollziehen, was passiert. Und interessierte Menschen können ohne Einstiegshürden damit spielen – was für neue Technologie entscheidend sein kann.

Ich bin jedenfalls sehr gespannt, wie sich die Technologie entwickelt und wie neugierig Branchen damit experimentieren. Völlig losgelöst von zentralen Fragestellungen zu Rechten und Datenqualität, die natürlich auch diskutiert werden müssen. Erstmal: spielen und ausprobieren 👾


Bei einem Langstreckenflug über 13 Stunden hat man genug Zeit, um neue Filme und Serien anzuschauen oder in Musik reinzuhören:

🍿 Heartstopper hat mich sehr berührt. Die Serie begleitet zwei Schüler dabei, wie sie sich ineinander verlieben. Eine liebevolle Coming-Out-Geschichte. Und auch wenn ich nur mutmaßen kann, gibt sie einen schönen Blick auf die Herausforderung und den inneren Kampf, den queere Menschen mit sich und der Umwelt ausfechten.

🍿 Meine Stunden mit Leo erzählt die Geschichte einer Witwe, die ihre Sexualität entdeckt – gemeinsam mit einem jüngeren Callboy. Ehrlich werden Erwartungen von außen und innen thematisiert. Es geht um Sexarbeit und die Annäherung zwischen zwei Generationen.

🍿 Everything Everywhere All at Once ist ein Film, den ich in keine Kategorie stecken kann. Irgendwas zwischen Action, Komödie und Trash. Michelle Yeoh sucht ihre Bestimmung im Multiversum. Eine absurde Bilderflut, die ich sehr mochte, weil sie mich völlig überraschte.

🎧 Bartek hat sein zweites Soloalbum veröffentlicht. Hört sich stark nach einer verarbeiteten Trennung an. Irgendwas zwischen einer Clubnacht und Ruinen – „Sehe mich überall, nur ich sehe mich gerade nicht unter Leuten.“

🎧 Peter Fox und sein Stadtaffe begleitete mich durch das Abitur und Studium. Seine Texte und Melodien haben sich tief eingebrannt. Und nun ist er zurück. Ich mag das neue Lied schon sehr – „Elon Musk: Fick dein Marsprojekt. Scheiß kalt und arschweit weg!“


Hui. War doch ganz schön viel los im Oktober. Und ich wollte doch eigentlich durchatmen… 🙃 Habt einen schönen November!

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Fragmente ☀️ Sommer 2022

Das war ein guter Sommer. Fühlt sich so an, als ordne sich gerade einiges neu. Von außen (noch) kaum erkennbar. Innen aber umso intensiver. Probiere Dinge aus und etabliere neue Gewohnheiten. Nebenbei: Apfelverkostung auf dem Wochenmarkt. Pommes mit Mayo. Endlich offiziell Maeckes-Ultra. Ausflüge nach Kiel, Bremen und Brandenburg. Sonnenbrand im Gesicht. Kurze Hose und Vanille-Pistazien-Eis. Mit offenem Verdeck ans Meer. Ein „sogenanntes Musical“ im Thalia Theater. Und nach langer Zeit wieder in der Heimat gewesen – mit den Gefühlen irgendwo zwischen Kindheit und Frührente.

Entdecke immer wieder neue Strecken im Niendorfer Gehege und der angrenzenden Feldmark. Stolpere durch die vielen Kleingärten. Leben bedeutet, sich immer wieder zu verfranzen. Denke übers Rausziehen nach. Und über einen Hund. Einen Großen zum Kuscheln. 🐶


Hatte meinen letzten Tag bei brand eins. Über vier Jahre durfte ich mit dem Team nach neuen Wegen suchen. Haben Produkte entwickelt, branchenübergreifende Partnerschaften angestoßen und unsere Arbeit hinterfragt. Ein Umzug, viel Eis und eine Verschwörung. Strukturen geschaffen und eigene Grenzen überschritten. Durfte lernen und wachsen. Ein letzter Apfelkuchen und ein Buch voller lieber Worte. Dankbar.

Jetzt steht eine Pause an. Durchatmen. Durchschlafen. Und den besten Kuchen in Hamburg finden. Die nächste Etappe darf warten. 🏖


Nutze die gewonnene Zeit für Dinge, die liegengeblieben sind. Cafés und Ausflüge. Aber auch Serien, Musik und Bücher. Eine kleine Auswahl:

🎬 Woodstock 99. Hatte bis jetzt noch nie von diesem Festival gehört. Die Dokumentation zeigt, was passiert, wenn auf einer alten Militäranlage durstige Menschen unter Drogen aggressive Musik hören. Und irgendwann ausrasten. Verstörend, aber interessant. Erinnerte mich an das Fyre Festival.

🎬 Barry. Was passiert, wenn sich ein Auftragsmörder in die Schauspielerei und eine Spielpartnerin verliebt? Kluge Geschichte, die mich mit ihrem schwarzen Humor überzeugt. Und mit jeder Staffel emotionaler wird.

🎵 weine jetzt, lache später. Guter Rap ist für mich eine Mischung aus Arroganz, Beobachtungsgabe und Selbsttherapie. 3Plusss fängt sehr gut ein, was um uns passiert: Fremdenhass, Polizeigewalt, Depression. Es macht einen verrückt. Alles scheiße. Aber wir funktionieren. Lieblingslied: Dinge.

🎵 Haben oder Sein. Über Fremde und Depressionen sprach Amewu schon in seinem letzten Album. Jetzt gibt es endlich Nachschub. Auch ihn beschäftigt das Ungleichgewicht in dieser Welt und die Frage, wie simpel er sein muss, um nicht daran kaputt zu gehen. Lieblingslied: Plastikstrand.

📚 Der große Sommer. Eine typische Coming-of-Age-Geschichte. Ewald Arenz erzählt mit einem liebevollen Blick für Momente die Erlebnisse von Friedrich, der die Sommerferien daheim bei seinem Großvater verbringt. Zum Glück: „Es war dieser eine Sommer, wie es ihn wahrscheinlich nur ein Mal im Leben gibt. Dieser eine Sommer, den hoffentlich jeder hatte; dieser eine Sommer, in dem sich alles ändert.“

📚 Marianengraben. Hab viel zu lange gebraucht, um dieses Buch von Jasmin Schreiber endlich zu lesen. Die Protagonisten Paula verliert zuerst einen wichtigen Teil ihres Lebens und dann fast sich selbst. Sie lernt Helmut kennen, der ebenfalls alleine ist. Und so brechen sie gemeinsam auf. Eine wunderschöne Geschichte über Schmerz, der „nur so intensiv war, weil da so viel Liebe war, ohne die ich nicht so traurig sein könnte. Und sie war immer noch in mir, genau wie all die Erinnerungen an dich.“


Rückblick: Meine erste eigene Wohnung. Stuttgart-West. Tief in der Nacht. Ich war alleine in der Großstadt. Voller Selbstzweifel und Gefühle, die ich nicht richtig einordnen konnte. Begegnungen hinterließen Spuren, Kratzer und Schrammen. Schrieb nachts Texte, um tagsüber mein Innenleben zu verstehen. Meine Sätze waren wie ein Schatten – er zeigte mir meine eigenen Grenzen auf und schenkte mir ein Versteck.

Hab noch lange geschrieben. Satzfetzen, Gedichte und lange Texte. Einweggedanken sind Gefühle in Schockstarre, die sich vielleicht morgen ganz anders anfühlen. Und diese Momente möchte ich besser greifen können. Deshalb arbeite ich an etwas…

Dazu bald mehr. Ich bin sehr aufgeregt! Habt einen schönen Oktober. 🍂

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Fragmente ⛵️ Juni 2022

Irgendwo zwischen Kleingartenanlage und Alster. Mit Apfelkuchen und Kakao auf dem Balkon. Tennisbälle wechseln die Seiten. Fahrräder auf dem Kies. Und im Garten wird gegrillt. Der Juni war sonnig schön. Blühte in allen Farben. Auch wenn Corona endgültig in unsere Wohnung einzog und mich (zum Glück) nur für wenige Tage ausbremste.

Ich baue fleißig an diesem Ding namens Leben. Schmiede Pläne und verwerfe Grundsätze. Versinke für Stunden im Kaninchenbau, nur um dann mit viel zu vielen Gedanken schlafen zu gehen. Alles wird gut. 🥱


Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie am Flughafen. Komisches Gefühl. Im Flieger nach Wien erinnere ich mich an meine Zeit in der Beratung. Wieder mit Handgepäck, nur diesmal ohne PowerPoint-Slides. Dafür mit Svenja an meiner Hand durch bekannte Gassen. An der Donau entlang. Zwischen Kunst und Regenbogenparade. Auf der Suche nach glutenfreiem Kaiserschmarrn (mit Erfolg!) und dem Gefühl, wieder auf Entdeckungstour zu gehen. Probierte den besten Döner laut YouTube (sehr lecker) und Austern auf dem Naschmarkt (eher so okay). Tankte Sonne im Volksgarten, während prunkvolle Gebäude ihre Vergangenheit zur Schau stellen und Svenja ihren Kopf auf meine Schulter legt. Glücklich. 🥰


Außerdem endlich wieder im Kino gewesen. Neben dem Savoy ist die ASTOR Film Lounge jedes Mal ein kleines Erlebnis. Diesmal hoch in der Luft, wo Tom Cruise in Top Gun: Maverick nach dreißig Jahren wieder das Böse bekämpfte. Irgendwas zwischen Persiflage und Werbung fürs Militär. Hat aber trotzdem Spaß gemacht. Fast so sehr wie True Detective (Staffel 1), die mir unzählige Male empfohlen wurde. Nun endlich geschaut und für toll befunden. Klasse Atmosphäre, wahnsinnig gut gespielt und beeindruckende Optik & Musik. Schön, wenn man Highlights zeitversetzt genießen kann.

Abschalten.

Kann mich noch ganz gut an meinen ersten Besuch in der Elbphilharmonie erinnern. Die ewig lange Rolltreppe, geschwungenes Glas und der Blick über den Hafen. Irgendwann dann auch mein erstes Konzert im Großen Saal. Beim Tag der offenen Tür durfte man hinter die Kulisse schauen: Technik, Kantine und Proberaum. Beeindruckend, wie viel hinter einer großen Bühne passiert. Und wieviele Menschen es braucht, damit am Ende ein Mensch das Publikum mit seiner Musik fesseln kann.

Blick vom Dach der Elbphilharmonie

Im letzten Monat musste ich meine Gedanken zur Ökonomie der Aufmerksamkeit und unserem Kapitalismus ordnen. Ein Thema, das mich Monat für Monat begleitet und ganz eng mit der Klimakrise zusammenspielt. Bei Krautreporter gab es einen eindrucksvollen Blick auf den ersten Moment dieser Krise und ihre Auswirkungen auf… alles.

Wenn wir die Klimakrise betrachten, gehen wir oft stillschweigend, vielleicht auch hoffend davon aus, dass wir „nur“ der Klimakrise Herr werden müssen. Inflation, Kriege und Hunger (Pandemien auch nicht zu vergessen!), begleiten sie aber, werden sogar verstärkt durch die Klimakrise.

Rico Grimm, Krautreporter

Mit jedem Artikel und jeder Perspektive wird immer klarer, dass alles zusammengehört. Wir nicht nur eine Komponente austauschen können – und dann läuft das Ding wieder. Lösungsansätze werden nicht über entweder-oder-Debatten gefunden. Vielmehr aus dem Dialog unterschiedlichster Positionen.

Understanding the scale of a billion seconds can help us reveal the interrelationships between time, money, power and energy.

The Everything Manifesto

Es geht um Brückenbauen. Denn die Lösungen von heute werden nicht ausreichen. Eine App und ein bisschen KI und Blockchain wird die Krisen nicht aufhalten. Wir brauchen Koalitionen zwischen Politik und Gesellschaft. Und Geschichten, die mitnehmen. Mut machen. So fasst es Maja Göpel auf der re:publica zusammen.

Dass es zum Glück vielen Menschen und Unternehmen gibt, die versuchen andere Wege zu gehen, liest man nicht nur ein der brand eins (#Schleichwerbung) sondern auch im Podcast von Terra X, wo Harald Lesch in den „Maschinenraum Deutschlands“ blickt. So spricht er mit Nadine Ogiolda über extreme Naturereignisse und was man dagegen tun kann. Ich mag seine Neugier und innere Unruhe, auf Lösungen blicken zu wollen – und nicht nur das Problem mannigfaltig zu beschreiben.

Mit dieser Neugier möchte ich auch die nächsten Monate noch mehr über Zusammenhänge nachdenken und verstehen. Und mir klarer werden, was das für Business-Design und Produktmanagement bedeutet.

Habt einen schönen Juli und genießt die Zeit miteinander 🤗


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Fragmente 🧘‍♂️ Mai 2022

Durch Hamburgs Gassen spazieren. Menschen verlassen strahlend Blumenläden und Eisdielen. Die Sonne blendet und ich kneife die Augen zu. Zeit mit Freunden. Essengehen und Spielplätze unsicher machen. Apfelkuchen. Lesen auf dem Balkon. Und endlich wieder Konzerte.

Wie wichtig diese Momente sind. Mit mir und gemeinsam mit Anderen. Gegenseitig füreinander. Und Erwartungen warten lassen. 🖤


Ich mag Menschen. Mag ihnen zuhören und mit ihnen diskutieren. Lachen. Nachdenken. Schweigen. Doch ich bin nicht gut in neuen Umgebungen mit unzähligen fremden Gesichtern. Mag keinen Smalltalk und die immer gleichen Fragen. Netzwerken oder so. Freue mich deshalb umso mehr, wenn bei Konferenzen und Veranstaltungen dieser kleine geschützte Raum entsteht. Auf der Dachterrasse oder am Seitenausgang.

Nach vielen Monaten, in denen Videokonferenzen und Spaziergänge mit einzelnen Menschen der Alltag waren, hat der Mai mich wieder mehr in die beschriebene Zwickmühle geschubst. Hab in kleiner Runde beim New Leaders Forum über Haltung in der Medienbranche diskutiert. Und festgestellt, dass ich ein großer Freund von konstruktivem Journalismus bin. Mag Geschichten über Menschen, die Dinge anders gemacht haben. Es gibt genug Schreckensnachrichten und erhobene Zeigefinger.

Beim Abschluss des Journalism Innovators Program der Hamburg Media School ging es ebenfalls um Experimente. Sechs Monate haben die Teilnehmenden verschiedene Bedürfnisse über Medienformate versucht zu adressieren. Dabei ging es viel um Perspektivenwechsel. Sei es bei Verschwörungstheorien oder arabisch-deutschen Freundschaften. Hab gelernt, wie komplex andere Medienhäuser sind. Wie sehr Journalismus auf das Format blickt und dabei das Geschäftsmodell aus den Augen verliert. Und wie (unbewusst) geschlossen manche Branchen und Blasen sind.

Und auf der OMR22 war ich hauptsächlich überfordert. Zu viele Menschen. Zu wenig Masken. Von Halle zu Halle treiben – und irgendwie das Gefühl bekommen, ich kann es alles gar nicht verarbeiten. Mir fehlte es an Substanz. Ein bisschen wie beim Web Summit. Alles eine große Party. Und ich wunderte mich, wie eng Inhalt und Werbung auf diesem Festival verwoben waren. Zwei Tage, die sich wie der TikTok-Stream anfühlten. Mit schönen Überraschungen wie einer Fahrt auf den Hamburger Fernsehturm oder zufälligen Begegnungen mit alten Kolleginnen. Hab großen Respekt vor der Organisation – aber für mich entschieden: ich bin lieber auf kleinen Veranstaltungen. Mit klarem Themenfokus. (Freue mich über Tipps!)

Der Juni wird jedenfalls ruhiger. Das hab ich mir selbst versprochen. 🙃


Ruhe wünscht sich bestimmt auch Fynn Kliemann. Seitdem Jan Böhmermann und das ZDF Magazin etwas tiefer gegraben haben, blicke ich nochmal anders auf Influencer. Vor allem dann, wenn sie lautstark für das Gute kämpfen („Sinnfluencer“). Hab über meinen schmerzhaften Vergleich mit Fynn Kliemann bereits geschrieben. Über den Druck, den seine Projekte bei mir ausgelöst haben. Sehe jeden Tag neue Gesichter in den Streams, die mir das Gefühl geben, dass ich zu wenig mache. Dass da noch mehr Veränderung geht. Noch mehr Haltung. Doch schaut man hinter die Fassade, ist alles nicht so glänzend wie man vermuten könnte. „Das war doch klar!“ spottet die eine Stimme in mir. „Aber du magst es trotzdem glauben!“ sagt die Andere. Vielleicht ist es der Wunsch nach Orientierung in komplexen Momenten. Ich würde mich gerne irgendwo orientieren. Wie ein Spickzettel, der Entscheidungen einfacher macht. Leider gibt es den nicht. Denn am Ende geht es da draußen um Aufmerksamkeit. Um teilbare Ansichten. Und somit Reichweite und Geld. Die Plattformen aber auch ihre Content Creator scheinen in einer Spirale zu stecken.

But the hype around the creator economy, of course, focuses only on the potential financial rewards. When a hobby turns into a business, fuzzier, more personal success metrics often give way to cold, hard numbers. 

Kai Brach / Dense Discovery

Investoren stecken Geld in immer schneller wachsende Unternehmen. Diese müssen noch schneller zulegen. Noch mehr Menschen ansprechen. Also greifen sie nach Zeit. Wie die grauen Männer. Es ist eine Addicition Economy. Alles wird zum Spiel. Kleine Handlungen werden belohnt. Wir fühlen uns gut. Nächste Runde. Nächste Stunde.

Wie schön wäre es, wenn die Zeit wieder als das Gesehen wird, was sie ist. Ein wertvolles Gut. Keine Kennzahl in Investorenberichten. Qualität statt Quantität liest sich gut – ist aber gar nicht so einfach. Laut, bunt und schnell gewinnt in dieser Zeit. Der Markt bekommt Angst, wenn er nicht wächst.

Die Machthabenden wollen Geld – it’s always been like that. Märkte und Handel an sich sind nicht das Problem; es sind die daraus resultierenden, kaum regulierten Praktiken: Künstliche Verknappung, erzwungenes Wachstum und finanziell motivierte politische Entscheidungen sind der Kapitalismus, der uns von innen heraus aushöhlt.

Christoph Rauscher

Vielleicht eine der beeindruckendsten Dokumentationen zu diesem Thema ist Oeconomia. Sie beschreibt, woher Geld kommt. Warum wir immer mehr davon drucken. Und wie gut uns allen Ruhe tun würde. Nicht nur Fynn. 🧘‍♂️


Aha zum Schluss: Hast du dich schon mal gefragt, warum die Stückchen bei fairer Schokolade so unterschiedlich sind? Und warum sie gar nicht quadratisch-praktisch sein wollen? Sie sollen die Ungleichheit innerhalb der Schokoladenindustrie aufzeigen. Wusste ich nicht. Weiß ich jetzt.

Ich wünsche euch einen schönen Juni 🍫


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Fragmente 🌱 April 2022

Frühling. Endlich. Mit dem Rad durch das Niendorfer Gehege und die Eidelstedter Feldmark. Ich mag unser neues Viertel und seine Umgebung. Hab das erste Mal ein Stammcafé. Versuche mein Gleichgewicht zu finden. Irgendwo zwischen Ukraine, Pandemie, Klimakrise und den eigenen Gefühlen. Und es klappt. Schritt für Schritt. Mit kleinen Routinen.

Abends in der Eidelstedter Feldmark

Freitag reduziere ich Arbeitsstunden. Habe mit Tennis begonnen. Anfänger sein. Über den Platz rennen. Ansagen vom anderen Ende des Sandplatzes. Ein bisschen wie früher im Sportunterricht. Tut gut, etwas neu zu lernen. Ich akzeptiere Stolpern. Und übe mich im Aushalten von Gefühlen. Bin dankbar für Svenja und meine Freunde. Sie hören mir zu. Nehmen mich in den Arm. Geben mir das Gefühl, dass ich ausreiche. Und an immer mehr Tagen bin ich davon überzeugt. 💙

Alles in Ordnung. In bester Ordnung.
So normal, wie es nur sein kann.

Die Orsons

In meinem Umfeld beschäftigen sich viele mit dem Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben. Work-Life-Balance. Doch was wäre, wenn es zwei voneinander getrennte Leben wären. Die Serie Severance setzt sich damit auseinander. Arbeit nach Auftrag – ohne genau zu wissen, wofür. Klick. Abends müde daheim. Ein Chip im Kopf verhindert, dass Fragmente der Arbeit den Weg ins Private finden. Und umgekehrt. Zwei Welten.

Großartig gespielt zog mich Bild und Musik in dieses Spannungsfeld aus Funktionieren und Einsamkeit. Und ich würde lügen, wenn mir nicht einige Parallelen zu meiner Konzernzeit bitterlich ins Auge stießen. Beklemmend aktuell und absolut sehenswert. 📺


Ein beklemmendes Gefühl kann sich auch einstellen, wenn die Abkürzung NFT in Tweets und Newslettern meinen Blick anzieht. Ja, auch ich habe mir YouTube-Videos angeschaut, die enorme Renditen versprechen. Ja, ich habe mir gelangweilte Affen angeschaut und mich versucht zu überzeugen, dass dies die Zukunft von Kunst sein könnte. Klappte nicht. Aber ich glaube daran, dass diese neuen Technologien einen Platz finden werden. Einen Platz, den wir nun schrittweise finden müssen. Und ich würde mir wünschen, es gäbe mehr Artikel über Experimente – abseits von Revolutionen und Disruptionen. Gregor Schmalzried hat einen starken Artikel zum Thema zum Krieg der extremen Meinungen geschrieben. Und wie Web3-Optimismus für ihn aussieht. 🦧


Auch bei brand eins probieren wir momentan viel aus. Sitzen in bunt-gemischten Runden mit unterschiedlichsten Unternehmen zusammen. Sprechen über unsere Perspektive auf gemeinsam identifizierte Spannungen und Fragestellungen. Und daraus ergeben sich interessante Angebote. Mit jedem Gespräch und Austausch frage ich mich mehr: Warum immer alles selber machen? Wenn es da draußen Menschen gibt, die ihre Stärken und Erfahrungen einbringen können und möchten. Diese lassen sich bündeln. Und mit Nutzerinnen und Nutzern weiterentwickeln.

Ein solches Angebot kann zum Beispiel eine Werkstatt sein. In der Erfahrungen miteinander diskutiert werden. Und Buzzwords hoffentlich ihre Oberflächlichkeit genommen bekommen. So jedenfalls der Plan für den ersten Schritt. Denn es ist ein Prozess. Der nicht nur das Angebot, sondern auch die Organisation immer weiter hinterfragt.

Passend dazu kann ich das wunderbare Zine „Work in Progress“ von Johannes Klingebiel empfehlen. Es beschreibt seine Erfahrungen aus drei Jahren Arbeit im Innovationsteam der Süddeutschen Zeitung. Und wieder ein Beispiel dafür, dass alleine das sich einstellende Gefühl „Ich bin nicht alleine“ so verdammt wertvoll sein kann. 🙏


Gefühlt war dieser Monat voller befreiender Gefühle. Kleiner Erfolgsmomente, die nach den letzten Monaten bitter notwendig waren. Ich glaube, die Nebensaison ist hiermit beendet.

Kommt gut durch den Mai. ☀️


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