Beides Dinge, dich ich brauche. Muss beschäftigt sein. Ich mag Aufgaben und Listen, die sie sammeln. Das Gefühl, nach und nach mit breitem Strich meine Arbeit zu dokumentieren. Sauber. Strukturiert. Wenn im Kopf Chaos herrscht, dann kann Ordnung um einen herum wertvoll sein. So ist es jedenfalls bei mir.

Wolfgang Herrndorf brauchte ebenfalls diese beiden Pfeiler. Bestimmt noch mehr als ich sie benötige. Sie gaben ihm Halt. Bevor er den Freitod wählte. Er litt an einem bösartigen Hirntumor. Verlor von Zeit zu Zeit an Kraft. Kraft zu Schwimmen, zu Reden oder eben zu Schreiben. Dennoch hielt er seine Erfahrungen tagebuchartig fest. Anfangs in einem Blog, jetzt auch als Buch lässt es einen – enorm vereinnahmend – in das Leben eines Sterbenden linsen. Habe oft mit den Tränen gekämpft – immer wieder verloren. Drei Jahre ziehen am Leser vorbei. Man freut sich über die schönen Tage – zuckt zusammen an schlimmen Tagen. In keiner Zeile hat man das Gefühl, dass Herrndorf seine Situation verfälscht beschreibt. Es ist diese herbe Ehrlichkeit mit dem Thema Tod. Selbstzerfall von Seite zu Seite. 

Ich kann kein Instrument spielen. Ich kann keine Fremdsprache. Ich habe den Vermeer in Wien nie gesehen. Ich habe nie einen Toten gesehen. Ich habe nie geglaubt. Ich war nie in Amerika. Ich stand auf keiner Bergspitze. Ich hatte nie einen Beruf. Ich hatte nie ein Auto. Ich bin nie fremdgegangen. Fünf von sieben Frauen, in die ich in meinem Leben verliebt war, haben es nicht erfahren. Ich war fast immer allein. Die letzten drei Jahre waren die besten.

Ich mag seine Geschichten. Und ich mag seine persönliche Geschichte. Auch in den letzten Jahren scheint für ihn Schreiben und ein geordneter Ablauf das Wichtigste zu sein. Er entscheidet sich nicht für eine Weltreise, überteuerte Hobbys oder andere Extreme auf den letzten Metern. Er schreibt. Trifft seine Freunde. Spielt Fußball. Schwimmt. Und lacht. Über sich. Wunderschönes Buch über das Leben. Sowie der Schlussstrich. Eigenhändig gezogen.