Schreiben. Stolpern. Schluckauf.

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Silver Linings

Ich mag Menschen mit Macken. Die irgendwie aus der Reihe fallen, weil sie ehrlich zu sich sind. Ehrlich gegenüber anderen Menschen. Und auch ehrlich gegenüber ihrer eigenen Wechselhaftigkeit. Menschen, die an große Gefühle und kleine Gesten glauben. Laut über ihre Ängste, ihre Stärken oder ihre Träume sprechen. Ich fühle mich zu ihnen hingezogen, egal wie chaotisch und stressig die Auseinandersetzungen sein können.

Ähnlich ist es bei Pat, der als Mittdreißiger wieder bei seinen Eltern einzieht. Er hat einen Aufenthalt in einer Nervenanstalt hinter sich gebracht, Hoffnungen verworfen und möchte nun sein Leben auf die Reihe bekommen. Eines Tages lernt er Tiffany kennen, die ebenfalls einige Kratzer und Macken mit sich trägt. Ihr Mann ist verstorben, weshalb sie ordentlich ins Straucheln gekommen ist. Sie schläft mit jedem aus ihrem Umfeld. Pat schläft mit niemandem. Er will seine Exfreundin zurück und Tiffany bietet ihre Hilfe an, wenn er im Gegenzug mit ihr bei einem Tanzwettbewerb teilnimmt. Und so gehen die beiden ein Stück zusammen.

Silver Linings ist – genau wie mein Lieblingsfilm Garden State – eine wunderschöne Erzählung über schmerzende Kanten. Sie zeigt Konflikte und Gefühlskämpfe, die jeder in einer ähnlichen Form bestritten hat. Ängste, die jeder mit sich führt. Und ein Wunsch nach Verständnis und Nähe, der in uns schlummert. Immer wieder aufgeweckt wird und bei Laune gehalten werden möchte. Vielleicht an manchen Stellen etwas kitschig, an anderen etwas verträumt. Trotzdem sehenswert.

Invasion der Spielkinder

Ich stolpere immer wieder über Artikel, die sich mit der Entwicklung des männlichen Geschlechts in unserer Gesellschaft auseinandersetzen. Männer werden zu Loser. So versucht jedenfalls ein Artikel in der Süddeutsche Zeitung erneut Aufmerksamkeit zu erlangen. Immer mehr Männer sollen laut Studien alleine leben. Sie heiraten seltener und versacken bei ihren Eltern. Daraus schließt der Gastautor, dass mein Geschlecht sich vor der Zukunft fürchtet und Beziehungen meidet. Die Industrie bemerkt natürlich diesen Trend und so werden immer mehr Frauen eingestellt. Weil sie stärker sind. Zielstrebiger. Die Arbeitslosigkeit der Männer wächst. Vorwiegend in Großstädten. Und das soll uns verunsichern. Der Mann sitzt weinend in der Dusche. Laut Artikel haben wir Angst vor der Zukunft, da wir sie nicht lenken werden. Die Frauen tun das. Das schüchtert uns ein. 

Was denke ich dazu? Ich werde nicht anfangen Statistiken zu hinterfragen. Auch werde ich keine historischen Beobachtungen auswerten oder Meinungen von Soziologen studieren. Ich werd ein paar Zeilen schreiben, wie ich Artefakte des Artikels in meinem Alltag beobachte. So bin ich selbst relativ früh ausgezogen. Zum Studieren in die nahegelegene Großstadt. Seit zwei Jahren wohne ich am anderen Ende Deutschlands. In Hamburg, wo ich alleine lebe. Ich mag das. Genieße den Freiraum und die Möglichkeit, auf mich gestellt zu sein. Mehr über mich zu lernen. Ich glaube es ist verdammt wichtig, Zeit und Raum für sich zu haben. Über den Alltag nachdenken zu können und vielleicht auch bewusst durch Phasen zu gehen, in denen es einem scheiße geht. Um mich herum führen Menschen Beziehungen. Beenden sie wieder. Gefühlt passiert das relativ oft, aber ich denke nicht, dass eine Bindungsangst daran Schuld ist. Wir haben gelernt, unser Leben zu gestalten. Uns wurde eingetrichtert, dass wir alles in der Hand haben. Das führte in meinen Augen dazu, dass wir auch höhere Ansprüche entwickelt haben. Ich selbst habe in den letzten Monaten bei mir beobachtet, dass man beginnt sich selbst  stärker zu hinterfragen. Verhaltensweisen, Wünsche und Eigenarten auf die Probe zu stellen. Und natürlich auch, was man sich von einer Beziehung erwünscht. Im Kontrast zum Artikel scheiterte aber keine meiner (entstehenden) Beziehungen daran, dass ich Angst vor dem weiblichen Geschlecht bekommen habe. 

Ich selbst finde es toll, dass Frauen erfolgreich sind. Hohe Positionen anstreben oder sich politisch/wissenschaftlich/gesellschaftlich engagieren. Wünscht man sich nicht jemanden an seiner Seite, der eine Leidenschaft hat? Und jemanden, mit dem man über diverse Themen sprechen kann? Sei es die Karriere oder die Familie. Wenn beide Partner ähnliche Träume haben, dann schreckt doch eine solche Entwicklung der Frau nicht ab. Ist viel mehr begrüßenswert. 

Was ich eher glaube, ist dass Männer seit mehreren Jahren begonnen haben, ihre Rolle zu hinterfragen. Man sieht, dass Frauen sich verändern. Neue Wege gehen. Und das wollen wir auch. Manche jedenfalls. Dadurch entsteht natürlich eine Art Stillstand, denn man muss sich Zeit nehmen zu reflektieren. Man will Dinge ausprobieren. Ich will Dinge ausprobieren. Will Texte schreiben, dann kochen, dann den ganzen Tag auf dem Sofa liegen und am nächsten Tag einen Baum pflanzen. Autos auseinandernehmen und Karriere machen. Und genau dieser Prozess sorgt dafür, dass “wir Männer” auch mal alleine leben. Uns zurückziehen. Die Karriere aus den Augen verlieren und lieber malend in Berlin versacken. 

Die Geschlechterrollen bewegen sich ständig. Teilweise heftig. Dann wieder minimal. Wir lernen voneinander und probieren uns aus. Was soll daran falsch sein? Ist die Tatsache, dass Männer bei ihren Eltern wohnen ein größeres Warnsignal als der Geschäftsmann, der fünf Tage die Woche in Hotels lebt, sich an der Bar Wein und Frauen bestellt und irgendwann ausgebrannt kündigt? Wir alle werden überflutet von Möglichkeiten. Das überfordert uns. Die einen mehr. Die anderen weniger. Und ja, manchmal ist man als Mann verunsichert, wo die Reise hingeht. Aber so geht es jedem irgendwann auf seiner Reise. Heute sprechen wir nur etwas offener darüber. Wenn auch nicht offen genug, sonst würde der Autor Walter Hollstein nicht von der Invasion der Loser, sondern der Invasion der Spielkinder sprechen. Denn jeder bastelt an seiner kleinen Sandburg. Ob Männlein oder Weiblein. 

Kathrinchen

Es war unser Schicksal, unser Leben zu zweit zu leben und zu genießen. Und ich fand, dass es ein sehr schönes Schicksal war. Und ich bin für mich und vor allen Dingen für dich traurig, dass diese Jahre nun vorüber sind.

Plötzlich verlierst du den Menschen an deiner Seite. Musst alleine die Haustür aufschließen. Das Licht löschen. Da ist niemand, der dir eine gute Nacht wünscht. Dir nochmal über die Wange streicht. Und morgens den Rolladen nach oben zieht. Peter war über 50 Jahre mit seiner Frau verheiratet. Kathrinchen. Und dann muss er gehen. 

Die Süddeutsche Zeitung hat Kathrinchen (eigentlich Grete) getroffen und in einem wunderschönen Artikel zurückgeblickt. Auf das gemeinsame Kennenlernen. Flucht. Auswanderung. Krankheit. Bevor Peter starb, nahm er zwei CDs auf. Sprach über seine Liebe zu Kathrinchen. Darüber wie Leid es ihm tut, sie alleine zurückzulassen. Er hinterließ so seine Spuren. Und ich glitt über die Zeilen. Stolperte und weinte. Nicht nur wegen der Geschichte, sondern eigentlich der Tatsache, wie zerbrechlich alles ist. Und wie man dennoch so selten das Gegebene akzeptiert. Einfach annimmt, was das Leben bringt. 

Ich selbst strebe immer wieder nach Besserem. Möchte Dinge optimieren. Und vergesse dabei so oft, was ich eigentlich habe. Und wie schön es auch sein kann, bestimmte Dinge nicht zu haben. Weil sie irgendwann kommen. Oder weil man sie gar nicht braucht. Das mag alles neunmalklug klingen, aber das ist mir egal. Es sind Gedanken, die mir durch den Kopf gehen. Die ich teilen mag. Und weil ich den Artikel so schön fand.

The Sessions

The Sessions erzählt die Geschichte Mark, der als Journalist seinen Lebensunterhalt verdient und abends in die Welt der Worte abtaucht. Da er seit seiner Kindheit unter Polio leidet und größtenteils künstlich beatmet werden muss, hatte er noch nie körperlichen Kontakt zu einer Frau. Doch die Zeit bringt ihn irgendwann in die Situation, einer Pflegerin gegenüber Liebe zu empfinden. Die Krankheit zwingt ihn, jegliche Leidenschaft in Gedanken zu genießen – bis er sich überwindet eine Sexualtherapeutin aufzusuchen. Cheryl soll ihn dabei unterstützen, ein Gefühl für seinen Körper und seine Lust zu empfinden. Und das innerhalb von sechs Sitzungen…

Eine schöne Geschichte, die auf einem Bericht des Lyrikers Mark O’Brian basiert. Der Film beschreibt den Konflikt, intensive Gefühle zu empfinden, sie aber nicht ausleben zu können. Überhaupt sollte viel mehr über das Leben benachteiligter Menschen erzählt werden – aber bitte ohne theatralische Musik und Schwarz-Weiß-Einspieler. Und das schafft dieser Film ganz gut.

Gefangen

Beeindruckende Bilder von Robert Mack und Grace Zaccardi, die Insassen eines Gefängnisses für psychisch kranke Straftäter fotografierten. Die Aufnahmen entstanden zwischen den Jahren 1980 und 1982 in einem amerikanischen Hochsicherheitstrakt, in welchem versucht wurde die Patienten zu heilen und sie später wieder in die Gesellschaft zu integrieren.