Schreiben. Stolpern. Schluckauf.

Schlagwort: Roman (Seite 1 von 2)

Naokos Lächeln

Also grübeln Sie nicht allzu ernsthaft über alles nach. Wir sind alle höchst unvollkommene Menschen (und damit meine ich alle – normalen und nicht ganz so normalen – Menschen), die in einer höchst unvollkommenen Welt leben.

Naokos Lächeln von Haruki Murakami ist nur eine Liebesgeschichte. Und doch so viel mehr. Der Wunsch nach Erfüllung und Seelenverwandtschaft.  Toru Watanabe ist unauffällig. Durchschnitt. Er hat seinen besten Freund verloren und treibt seitdem durch Tokio. Erobert Frauen nur der Eroberung wegen. Ein paar Zärtlichkeiten im Austausch, um danach wieder in seinem grauen Alltag zu verschwinden. Er wirkt gelähmt, schafft es aber dennoch immer wieder, bei ganz bestimmten Mädchen ein Gefühl der Leidenschaft zu wecken. Dann verliebt sich. In die alte Liebe seines verstorbenen Freundes. Naoko.

Ich mag Liebesgeschichten. Sehr sogar. Sie entführen mich in eine Traumwelt. In der irgendwann alles Sinn zu machen scheint. Nicht aber diese Geschichte. Sehr oft konfrontierte sie mich mit der Wirklichkeit. Mit Verzweiflung. Man kann Dinge nicht planen. Andere Menschen nicht steuern. Und auch die eigenen Gefühle nur schwer nachvollziehen. Toru Watanabe verliebt sich. Verliert sich. Und ich genoss jede Seite.

Es geht um Pornos, Leben & Tod.

Das Leben ist ein Erdbeben und ich stehe neben dem Türrahmen. Eine Kurzgeschichte, die erwachsen und nun von Fabian Neidhardt als Roman herausgegeben wurde. Gedruckt und als kostenfreie PDF-Version. Was ich alleine schon beeindruckend finde. Eine Creative Commons Lizenz erlaubt es jedem, den Text zu nutzen. Daraus ein Hörbuch zu basteln oder mit Textzeilen den Gehweg zu schmücken. Ich kenne Fabian von einer Reihe schöner Poetry Slams im Süden, wo auch die Geschichte spielt. 

Stuttgart. Will verdient sein Geld mit dem Schreiben. Er sollte, doch zu Beginn verdient er kein Geld. Sucht nach Auswegen und bekommt über Umwege die Chance, Pornogeschichten zu schreiben. Wilde Phantasien, die in Betten offen und U-Bahnen heimlich gelesen werden. Dass diese Aufgabe sein komplettes Leben auf den Kopf stellt, Beziehungen beeinflusst und gleichzeitig Neugierde bei anderen weckt, lässt viel Platz für ein Buch, das mich irgendwie an Californication erinnerte. 

Schnell wurde ich in die kleine Welt von Will entführt. Markante Charaktere. Mit unterschiedlichsten Gefühlen. Die ständige Suche nach dem richtigen Weg. Nach Sex. Aber auch Zärtlichkeiten, die Geist und Lust befriedigen. Einer Familie, die da ist. Eine Suche nach der richtigen Person. Und wenn diese auch in einem selbst schlummert. Schön erzählt und nicht übertrieben. Immer wieder wird die Erzählung durch ruhige Passagen gebremst, bevor die nächste Welle einzelne Konstellationen neu ordnet. Das finale Erdbeben war mir dann fast schon zu heftig, denn mittlerweile hatte ich mich bereits zu sehr nach Stuttgart geträumt. Und lustigerweise werde ich Fabian beim nächsten Treffen zahlreiche Dinge fragen müssen. Denn Parallelen – wenn auch nur in Ansätzen – gibt es vielleicht. Irgendwo. Ich habe Will jedenfalls gerne begleitet. 

Drüberleben. Für mich.

Drüberleben. Das Erstlingswerk von Kathrin Weßling wurde in vielen Medien vorgestellt und besprochen. Ein Roman über Ida, zu deren täglicher Begleiter die Depression geworden ist. Das Gefühl, komplett alleine zu sein. Falsch zu sein. Ein Leben, das an dir vorbeizieht, während du gelähmt zuschauen musst.  Kein Ratgeber und auch keine Suche nach Erklärungen. Direkt. Ehrlich. Schmerzhaft. Jede Zeile hinterlässt hauchdünne Kratzer. Lässt einen teilweise innerlich schreien. Wie in einem Traum, wo alles im Zeitraffer läuft. Man weiß, dass etwas nicht stimmt. Und dennoch wacht man jeden Morgen auf. Mit dem selben Gefühl. Dem selben Blick, der starr an der Zimmerdecke zerspringt. 

Ich habe relativ lange für das Buch gebraucht. Hab es gefühlt sehr langsam gelesen. Bin am Zeilenende abgerutscht und hab von vorne begonnen. Ich kann nicht sagen weshalb, aber mir kamen sehr viele Dinge bekannt vor. Kleine Momente, die man selbst erlebt hat. Die man von Freunden kennt, mit denen man nicht nur über Belanglosigkeiten spricht. Bilder in Buchstabenform. Umschreibungen, die klarer nicht sein könnten. Und ein innerer Konflikt, der am Ende jedes Kapitels tobte: Schuld. Die ständige Frage nach Gründen. Ursachen. Man versucht einen Schuldigen zu finden. Eine Person. Eine Reihe an Geschehnissen, die dafür taugen, um eine Umverteilung vorzunehmen. Weg von mir und woanders abstellen. Erklärungen, die den Nebel kein bisschen verdrängen. Eher alles noch undurchsichtiger erscheinen lassen. Spricht man über Depressionen, so sind es entweder sehr kurze Monologe oder man einigt sich auf Mitleid. Ich hatte das Gefühl, dass Kathrin Weßling gerne auch mal die Betroffenen zu Wort kommen lassen möchte. Menschen, die ihren Alltag mit Erkrankten teilen. Sie lieben. Sie brauchen. Persönlich denke ich die letzten Monate sehr oft darüber nach, wie wir Menschen bewerten. Und warum wir es überhaupt tun. Warum wir vergleichen. Und wer den Maßstab vorgibt. Natürlich komme ich zu keiner Lösung – dennoch hab ich das Gefühl, als seien wir doch irgendwie alle auf der gleichen Suchen. Gestalten sie nur anders. Und vor allem, teilen wir sie anders mit unserer Umwelt. Was passiert, wenn keine Schublade passt? Wenn wir merken, dass wir uns nirgendwo einordnen können? Fängt dann nicht jeder damit an, sich Krankheiten auf die Stirn zu schreiben? 

Natürlich wünscht sich Ida im Roman, dass sie ihr Leben in geordnete Bahnen lenken könnte. Die Müllberge in der Wohnung verschwinden und sie etwas durchziehen kann. Aber irgendwie mag ich mir  nicht vorstellen, ob diese Person, mit all ihren Facetten und Erfahrungen solche Dinge als erfüllend empfinden würde. Ein Mensch, dessen Herz so viele Dinge mitgemacht hat, kann sich doch nicht mit komplett divergenten Persönlichkeiten vergleichen. Ich persönlich bin ein Mensch, der gerne fühlt. Laut lacht und leise weint. Ein Mensch, der an manchen Tagen völlig verträumt durch die Gegend stapft und an anderen Tagen völlig konzentriert seine Arbeit verrichtet. Ich genieße beides, doch kann mir gut vorstellen, dass es einen Punkt gibt, an dem eine Seite die Überhand gewinnt. Und dort setzte Drüberleben für mich an. Indem es bei mir den Wunsch geweckt hat, mehr über Menschen zu erfahren. Egal ob mit oder ohne Depressionen. Einfach nur erfahren zu wollen, was in ihnen vorgeht. In diesem einem Moment. Und dafür bin ich dem Buch sehr dankbar.

Und im Zweifel für dich selbst

Und wieder eine Buchempfehlung. Und wieder ein Roadtrip. Und wieder das Gefühl, welches unsere Generation zu verbinden scheint. Elisabeth Rank beschreibt in ihrem ersten Roman Und im Zweifel für dich selbst die Konfrontation mit dem Tod. Lene verliert ihren Freund. Plötzlich. Unerwartet. Weiß nichts mehr mit sich anzufangen und flüchtet. Zusammen mit ihrer besten Freundin Tonia versuchen sie dem dunklen Schatten zu entfliehen. Und merken mit jedem Meter, dass das eigene Leben einfrieren kann – doch alles andere bleibt. 

Ein sehr ehrliches Bild der Gedankenwelt. Der Umgang mit Trauer. Mit dem Erwachsenwerden. Bitte lesen

Tschick

Ich war auf einmal so begeistert davon, dass ich jetzt machen konnte, was ich wollte, dass ich vor lauter Begeisterung überhaupt nichts machte.

Maik ist völlig planlos. Als absoluter Außenseiter bestreitet er die achte Klasse. Sein Vater ein reicher Geschäftsmann, seine Mutter in der Klinik. Ohne Orientierung trifft er auf Tschick – einem Ost-Jungen, der keinen Gedanken an die Meinung der anderen verliert. Gemeinsam klauen sie ein altes Auto und fahren los. Entdecken die große weite Welt und dabei ihre Zeit. Ihre Pubertät. Ihre inneren Ängste und die Liebe.

Ein wunderschönes Buch, das ich relativ schnell verschlungen habe. Wolfgang Herrndorf schildert auf ehrliche Art eine Reise, die zu Tränen führt. Sei es lachend oder weinend.  Man identifiziert sich mit den kleinen Macken der Protagonisten. Leidet mit und glaubt in manchen Momenten, auf der Rückbank des geklauten Lada zu sitzen. =)