Ich hab sehr gemischte Gefühle gegenüber Twitter. Oft stört mich die Durchschaubarkeit mancher Tweets und ihrer Autoren. Auch die Nachrichtenkürze und Hektik macht es teilweise schwierig, dem Strom zu folgen. Gleichzeitig entstehen aber spannende Meinungsbilder zu aktuellen Themen. An der Welt interessierte Menschen teilen ihre Ansichten und geben einen Einblick in ihren Alltag. Dass dieser eben nicht nur aus Mett, technischem Spielzeug und Kneipentouren besteht, konnte man die letzten Tage verfolgen.
Nachdem Vorwürfe gegen FDP-Fraktionschef Brüderle bekannt wurden, er habe eine Reporterin mit sexuellen Anspielungen belästigt, sammelten sich auf Twitter unter dem Hastag #aufschrei zahlreiche Beispiele anderer Betroffenen. Momente, in denen sich Frauen gedemütigt oder verletzt fühlten. Es sammelten sich innerhalb von 48 Stunden über 25.000 Tweets. Und genau dafür schätze ich den Kurznachrichtendienst. Dinge ansprechen. Gemeinsam darüber diskutieren. Darauf aufmerksam machen. Weiterdenken.
Zahlreiche Blogs und Massenmedien nahmen sich dem Thema an. Veröffentlichten Interviews. Meinungen. Beobachtungen. Und selbst wenn in ein paar Tagen das Thema auf Twitter von einer drittklassigen RTL-Sendung erneut verdrängt wird, scheinen sich viele Menschen Gedanken zu machen:
Frau Meike veröffentlichte einen tollen Beitrag, in dem sie viele Fragen stellte. Aufforderungen adressierte sowie die Unterschiede von Sexismus und sexueller Belästigung skizzierte. Auch die Tatsache, dass jeder Mensch die Verhaltensweisen anderer Menschen unterschiedlich betrachtet und auch je nach Situation differenziert bewertet, darf in der gesamten Diskussion nicht ignoriert werden:
Gerade bei einem so heiklen Thema finde ich aber Verknappung und Verallgemeinerung völlig kontraproduktiv. Ebenso kontraproduktiv finde ich es, hier kurzerhand den “sensibelsten Filter” als Verhaltensmaßstab zu benennen.
Und auch die Meinung von Journelle las ich sehr gerne. Sie beschreibt eigene Erfahrungen, doch viel spannender finde ich das Ende ihres Artikels. Sie spricht über den mangelnden Dialog der Geschlechter. Jeder hat eine Ansicht, regt sich über Dinge auf und dennoch sagt es keiner in der jeweiligen Situation. Man schluckt, verdrängt und irgendwann läuft das Fass über:
Wenn ich den Eindruck habe, mit meinem Verhalten andere in Verlegenheit zu bringen – und sei es mir noch so unverständlich – liegt es doch nur nahe, dass ich a) damit aufhöre und b) mich ggf. entschuldige und die Entschuldigung hoffentlich angenommen wird. Damit ist der Situation der Wind aus den Segeln genommen.
Deshalb mein Appell an das weibliche Geschlecht: Sagt uns unmittelbar, wenn etwas schief läuft. Wenn etwas verletzt. Diskutiert die Ursachen und Folgen unser Verhaltensweisen. Nur so kann auch das Gegenüber lernen. Begreifen. Hinterfragen und verändern.