Schreiben. Stolpern. Schluckauf.

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#ichbinhier

Eigentlich bin ich ein großer Freund von diesem Internet. Ich begann vor 17 Jahren unterschiedlichste Dinge zu teilen. Habe Freunde gefunden und eine Leidenschaft entdeckt, die ich bis heute teile. Doch irgendwie fühlt es sich mittlerweile anders an. Wo früher eine kleine technikaffine Gemeinschaft über ihre Lieblingsfilme sprach und ihren Alltag in unfassbar vielen belanglosen Momenten dokumentierte, sehe ich heute eine perfektionierte Lebenseinstellung. Wir sitzen mit unseren grauen Laptops in Cafes, teilen Listen mit den schönsten Burgerläden auf dem Kiez oder teilen alle die selben politischen Statements. Zwei Posts darunter beschweren wir uns über die Dummheit der anderen. Satire darf alles. Präsidenten, Parteien, Lebenseinstellungen. Und wenn uns eine Meinung nicht passt, dann wird derjenige beleidigt. Zurechtgewiesen. Geblockt. Über die letzten Jahren formten sich so Filterblasen, die dann zum Beispiel bei Landtagswahlen oder dem Brexit platzen. Wie konnte denn das passieren?! Woher kommen die alle plötzlich?! Don Dahlmann fordert aktiv die Flucht aus der Filterblase. Obwohl ich seinen Punkt verstehe, sehe ich das als sehr schwierig. Mein Freundeskreis ist ziemlich homogen. Auch auf der Arbeit decken sich die meisten Ansichten. So stöbere ich durch Blogs mit anderen Ansichten – und stoße hauptsächlich auf Hass. Keine Auseinandersetzung, sondern das Aufzählen von Schwächen. Keine Diskussion, sondern stumpfes Beleidigen all derjenige, die nicht (m)einer Meinung sind. Es geht nicht um Annäherung. Es geht um Bekämpfung. Gewinnen und Recht haben. Und leider aus allen Lagern – auch wenn eigentlich für Vielfalt und Pluralismus auf die (virtuellen) Straßen gegangen wird. Meike Lobo beschreibt sehr gut die Folgen dieser Abstrafung und Verurteilung anderer Ansichten. “Gegner” werden so lange vor sich her getrieben, bis sie einknicken oder verschwinden. Das wird dann als Sieg bewertet. Doch ist er das wirklich?

Ja, es gibt Ansichten die gegen das Recht verstoßen und zu verurteilen sind. Untolerierbare Haltungen. Aber so einfach ist es nicht. Michael Seemann spricht von der multibeschissenen Weltordnung. Da ist nicht der eine Bösewicht. Es braucht sehr viel Interesse und Energie, die ganzen Verstrickungen zu verstehen. Deswegen kann auch nicht mit einem Satz die “allumfassende Wahrheit” ausgesprochen werden. Und schon lange reichen 140 Zeichen nicht aus, um Zusammenhänge zu erklären. Dennoch sehe ich in sozialen Medien jeden Tag, wie sich Menschen(gruppen) gegenseitig zerfleischen. Und eigentlich nichts wirklich verändern. Die Fronten nur weiter verhärten.

“Die soziale Ausgrenzung von Konservativen beispielsweise als frauen-, schwulen- und flüchtlingshassende Nazis führt ja keineswegs dazu, dass diese konservativen Meinungen verschwinden und die Gesellschaft fortschrittlicher und offener wird.”

Es wird geschrien. Mit dem Mittelfinger zeigt man auf alles, was nicht akzeptiert wird. Was passieren kann, wenn man sich mit viel Druck auf eine Person einschießt, durfte ich gerade erst hautnah miterleben. Und das schockiert mich. Macht mich nachdenklich. Weil auch ich selbst merke, wie man sich zurückzieht. Der Konfrontation aus dem Weg geht. Initiativen wie #ichbinhier (aus dem Schwedischen #jagärhär) setzen sich für die Rückeroberung der Diskussionskultur in den sozialen Medien ein. Sie wollen in den Kommentarbereichen wieder einen Austausch etablieren. Vermitteln und Deeskalieren. Ich möchte mich selbst mehr dazu zwingen, einen Dialog einzugehen. Anderen Meinungen zuzuhören, sie versuchen zu verstehen und dann zu bewerten. Mit Argumenten zu reagieren. Denn ich habe keine Lust, dass sich die Lager noch weiter auseinander bewegen und wir alle dann irgendwann das Ergebnis ausbaden müssen…

ممنون

Apfelpunsch in der Hand. Es riecht nach Lebkuchen. Mandarinen. Das Fenster auf Kipp lässt Hamburgs Lichter still zuschauen. Ich bin nervös mit Betreten des Raums. Unsicherheit macht sich breit. Schaue in viele Gesichter. Fühle mich kurzzeitig fremd – obwohl sie die Fremden sind. Die vor einigen Jahren oder wenigen Monaten nach Deutschland kamen. Aus den unterschiedlichsten Gründen. Doch mit dem Wunsch nach Sicherheit. Einem Neuanfang. Ohne Wissen, wie das denn geht.

Ich gehe zu dir. Stelle mich vor und spüre einen festen Händedruck. Ein kurzes Grinsen. Ich greife nach Sätzen. Möchte nicht zu nahe treten, dennoch keine Distanz aufkommen lassen. Bist du zum ersten Mal hier? Ja. Man hatte dir im Deutschkurs von diesem Treffen erzählt. Du magst Deutsch. Liest gerne. Bücher über Psychologie. Sie sind kompliziert. Das magst du auch. Lernen. Kleine Schritte nach vorne. Dankbar sein für alles, was angeboten wird. Nicht klagen. Das hilft dir nicht weiter. Und auch nicht deiner Familie. Die in Afghanistan lebt. Nur wenige Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Trotzdem weit entfernt von einer Chance. Mama vermisst dich. Du vermisst Mama. Deine Augen glitzern beim Erzählen. Ein bisschen aus Wehmut. Ein bisschen aus Stolz. Sprichst du über die anderen in deiner Unterkunft, wird deine Stimme ernst. Geradeheraus. Du verstehst die Klagen nicht. Die Beschwerden der anderen. Ich möchte reflexartig Erklärungen suchen – du lässt diese nicht zu. Was würdest du tun, wenn 200 Menschen vor deiner Tür stehen und reinwollen? Das geht nicht einfach so. Man muss Abstriche in Kauf nehmen. Auch mal warten. Ein Ziel vor Augen. Festhalten.

Wie kann man euch helfen? Du schaust mich an. Kein Geld. Geld kommt und verschwindet wieder. Niemand sieht etwas davon. Dir helfen Gespräche. Orientierung. Integration. Gemeinsam ein paar Schritte laufen. Über unterschiedliche Ansichten reden. Voneinander lernen. Das hört sich alles so ehrenhaft an. Ich tue mir schwer das anzunehmen. Du schaust dich im Raum um. Zeigst auf die anderen. Zeigst auf uns. Grinst dabei und wiederholst deine Sätze. Gespräche. Orientierung. Das suchen wir alle. Wenn ein Baum im Wald Feuer fängt, brennen irgendwann alle Bäume. Egal ob nass oder trocken. Egal welche Art oder Form. Ein Sprichwort. Draußen der Weihnachtsbaum auf der Alster.


Ungeordnete Gedanken in meinem Kopf. Ein Pochen. Meine Sorgen vergleichsweise bedeutungslos. Meine Geschichte ein dünnes Heft im Vergleich zu Deiner. Sätze in unterschiedlichsten Sprachen – trotzdem konnten wir miteinander sprechen. Und mehr braucht es gerade nicht. ممنون. Dankbar.

Danke 🙏

Sitze mit Laptop und Kakao auf dem Sofa. Um mich herum alles ruhig. Die letzten Tage waren sehr laut. Eine Woche Lissabon. Gemeinsam mit wichtigen Menschen auf dem Web Summit 2016. Klassenfahrt-Gefühl. Sich durch Markthallen treiben lassen. Pastel de Nata. Mit der Straßenbahn durch kunterbunte Gassen. Laute Live-Musik. Irgendwas zwischen Jazz und Michael Jackson. Luzzo… Was hasse du gemacht mit de Pizza? Tausende Menschen, die über das Internet sprechen. Portugal als nächsten Startup-Kessel sehen wollen. Zu lange Schlangen und teilweise viel zu wenig Zeit, um tief in Themen einsteigen zu können. Stolperten durch die Pink Street. Und zwischen all diesen Menschen, Gesprächen und Entdeckungen holt einen dann doch manchmal die Vergangenheit ein. Kurze Sprachnachrichten, die im Handy schlummern. Ungeahnt nach Aufmerksamkeit greifen. Komisch, dass es manchmal so schwer fällt loszulassen. Dass bestimmte Sätze oder Augenblicke einen ganz tief berühren. Ein Grinsen. Gefolgt von Schweigen. Gefolgt von Freunden, die einen wieder wachrütteln.

“Komisches sich Anschauen. Abwarten. Dünnes Eis. Wer bricht ein? Augenkontakt kurz unterbrechen. Wer bricht Schweigen?”

Schreiben hilft zu verarbeiten. Gedanken zu ordnen. Zu oft versuche ich hier nur eine Seite mit euch zu teilen. Der umtriebige Internet-Mensch. Von Stuttgart nach Hamburg gezogen. Baut Webseiten und schreibt. Spaziert und stolpert. Höre ich anderen zu, so geht es vielen gleich. Gegensätze und Facetten, die je nach Situation in ein anderes Licht gerückt werden. Ja, es gibt verdammt viele tolle Dinge. Momente und Menschen, die das Leben grandios machen. Mich zum Lachen bringen – bis der Schluckauf über Stunden die gerechte Strafe wird. Aber genau so gibt es Momente, in denen ich ganz schön durchhänge. Mich ärgere. Enttäuscht bin oder auch mal nicht weiter weiß. Dies ist der Versuch anzukommen. Und das wird mir nur gelingen, wenn ich ehrlich zu Allem bin. Schön, dass es euch gibt. Das ihr mitlest. Reagiert. Da seid. 🤗

Z2X

Müde Augen und ein breites Grinsen. So saß ich gestern im Zug nach Hamburg. Den Kopf an die Scheibe gelehnt. Dunkle Wolken schlugen gegen ein tiefes Rot. Die letzte Woche war intensiv – alte Erinnerungen ausgegraben. Wunden aufgerissen. Gefallen. Mit gemischten Gefühlen nach Berlin gefahren – der Abschied tat fast weh. Ich war auf dem Z2X-Festival, die von ZEIT ONLINE zum 20-jährigen Jubiläum organisiert wurde. Zum ersten Mal. “Zwei Tage und eine Nacht zusammen denken, planen, streiten, abheben”. Am Abend zuvor noch unsicher im Bett gelegen – bin kein großer Freund vom Aufsagen meines Lebenslaufes. Mag persönliche Gespräche, doch keine großen unbekannten Gruppen. Es kam alles anders. 

Morgens zeigten Blitzvorträge einige großen Baustellen in unserer Gesellschaft auf. Behindert ist man nicht, sondern wird man. Tweets könnten in einzelnen Ländern bald nicht mehr verfügbar sein. Und der Wunsch nach einer Gesellschaft ohne Patriarchat. In den sich anschließenden Workshops sprachen wir in kleinen Gruppen über die Zukunft des Radios. Die Eigenschaften eines besseren Menschen. Wie das Internet unsere Selbstwahrnehmung beeinflusst. Beziehungen verändert und sogar der Auslöser für Krankheiten werden kann. Unfassbar ehrlich wurde diskutiert. Einander zugehört. Auf Augenhöhe. Niemals hatte ich das Gefühl, dass sich Menschen den anderen Ansichten verschlossen. Fragen waren jederzeit erwünscht. So auch in den „Frag mich alles“-Runden, die mir persönlich am besten gefielen. Unterschiedlichste Menschen setzten sich in einen Kreis mit uns, standen Rede und Antwort. Erzählten über die Schwierigkeiten ein Junges Angebot für den öffentlichen Rundfunk zu entwickeln. Die Wahrnehmung von Journalismus seit der Flüchtlingskrise. Oder wie ein Magazin entsteht, das unser Leben schöner machen möchte.

Ich habe so viel aufgesaugt. Ideen ausgetauscht. Tischtennisbälle geworfen. Dazwischen gab es Musik, leckeres Essen und eine sehr gemütliche Atmosphäre – dabei spielte die tolle Organisation und Location eine große Rolle. Zwischen den Sälen begegnete man neugierigen Augen und offenem Grinsen. Wie eine große Familie. Mit Eis von der Tanke, Gin Tonic und Konfettikanone. Bewegt und dankbar. Diese beiden Worte beschreiben sehr gut, wie ich mich fühle. Lange nicht mehr so ehrlich mit mir völlig unbekannten Menschen gesprochen. Geträumt. Gelacht. Und wieder die Erkenntnis, das für Veränderungen zu allererst die eigenen Sichtweisen umgeschubst werden müssen. Ständig bereit für neue Anstöße. Neue Gefühle. Auch wenn das manchmal Angst machen kann. Danke Berlin. Danke Alva. Danke Martin. Danke Christin. Danke Fabi. Danke Z2X-Konferenz. Danke ZEIT ONLINE. 

Der nächste Schritt.

Seit ein paar Tagen ist Perspective Daily online und möchte mit konstruktivem Journalismus einen neuen Weg gehen. Ich finde diesen Ansatz klasse, da er auch offen die Objektivität von Medien in Frage stellt. Nach welchen Kriterien wird entscheiden, welches Thema relevant ist? Wer entscheidet darüber, dass eine Quelle oder ein Gesprächspartner die Wahrheit sagt? Was ist überhaupt die Wahrheit bzw. wo hört Objektivität auf? Diese Fragen wird jeder anders beantworten – das sollte man sich bewusst machen. Und so sollten sachliche Fakten weiterhin im Mittelpunkt einer Betrachtung stehen, aber wir benötigen unterschiedliche Meinungen. Differenzierte Sichtweisen, die einem dabei helfen wiederum eine eigene Meinung bilden zu können. Hierfür braucht es Experten und Persönlichkeiten, die sich nicht zu schade sind auch schwierige Standpunkte zu vertreten. Keine Auseinandersetzung fürchten. Auch XING hat dieses Problem erkennt und vor über einem halben Jahr das Format Klartext gestartet. Ein Diskussions-Angebot, das sich Themen rund um die Wirtschaft annimmt. Diese Debatten werden immer wieder durch neue Meinungen ergänzt – jedes Mitglied kann ebenfalls an der Diskussion teilnehmen. Und so wird dem Leser geholfen auch vielfältige Themen zu verstehen. Seinen eigenen Standpunkt entwicklen zu können. 

Warum schreibe ich über konstruktiven Journalismus und XING Klartext? Weil ich seit langer Zeit diesen Ansatz verfolge und nun die Möglichkeit habe XING Klartext mitzugestalten. Seit dem ersten Juli arbeite ich im Produktmanagement bei XING. Nach knapp fünf Jahren Beratung und Projektgeschäft habe ich mich dazu entschieden meine ganze Energie für ein neues Vorhaben zu nutzen. Mich reizt Journalismus und ich diskutiere von Herzen gerne. Schreibe seit Jahren meine Geschichten und möchte nun dabei helfen, dass noch mehr Menschen sich für Themen aus aller Welt interessieren. Sich darüber unterhalten und offen für unterschiedliche Sichtweisen werden. Deshalb habe ich diesen Job angetreten. Und er bedeutet für mich gleichzeitig auch eine Verschiebung der Verantwortlichkeiten. Vom UX-Design hin zum Produktmanagement. Darüber werde ich sicher auch in Zukunft erzählen. Ich freue mich riesig und bin gespannt, was die nächsten Monate bringen. Genau so wie ich dankbar bin über das was war. Fast 8 Jahre IBM. Ein Umzug nach Hamburg. Ein neues IBM Design Studio. Und ein Team, das mir sehr ans Herz gewachsen ist. Danke ? 

Neben einem neuen Job werde ich auch Anfang September in Berlin auf der Z2X-Konferenz sein. ZEIT ONLINE feiert Geburtstag und lädt junge Menschen dazu ein über Grenzen hinaus zu denken. Zu diskutieren und Ideen zu spinnen: “Zwei Tage und eine Nacht zusammen denken, planen, streiten, abheben.“ Eine Mischung aus Fachkonferenz und Barcamp. Die Anmeldung ist noch offen und ich würde mich freuen auch ein paar bekannte Gesichter zu sehen.